Koalitionsvertrag: Heute geht es um das Thema Gesundheit und Pflege
Kranke, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen müssen auf die Solidarität der Gesellschaft vertrauen können. Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung von Beginn bis zum Ende ihres Lebens erhalten, unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort. Das Patientenwohl ist für uns entscheidender Maßstab für gesundheitspolitische Entscheidungen, die Patientenorientierung ist unser Leitbild für das Gesundheitswesen. Die Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen müssen ausgebaut und verstärkt werden. Zur Erreichung einer sektorübergreifenden Versorgung wollen wir nachhaltige Schritte einleiten.
Pflege
Eine gute und verlässliche Pflege ist für immer mehr Betroffene und ihre Angehörigen von zentraler Bedeutung. In der vergangenen Legislaturperiode haben wir die Pflegeversicherung mit den Pflegestärkungsgesetzen grundlegend reformiert. Auch in den kommenden Jahren werden wir nicht nachlassen, die Pflege und die häusliche Versorgung zu verbessern, die Unterstützung für pflegende Angehörige auszubauen und die Arbeitsbedingungen von Fachkräften und Betreuern in der Pflege so attraktiv zu machen, dass ausreichend Menschen den Pflegeberuf ergreifen, beibehalten und damit die Versorgung sicherstellen. Dazu werden wir ein Sofortprogramm Pflege und darüber hinaus eine „Konzertierte Aktion Pflege“ zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Situation in der Pflege auf den Weg bringen.
Wir werden die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sofort und spürbar verbessern. Es werden Sofortmaßnahmen für eine bessere Personalausstattung in der Altenpflege und im Krankenhausbereich ergriffen und dafür zusätzliche Stellen zielgerichtet gefördert. In der Altenpflege sollen die Sachleistungen kontinuierlich an die Personalentwicklung angepasst werden.
In einem Sofortprogramm werden wir 8000 neue Fachkraftstellen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen schaffen. Der dafür erforderliche finanzielle Mehraufwand soll durch eine Vollfinanzierung aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfolgen. Dem Sofortprogramm werden weitere Schritte folgen.
Wir wollen in einer „Konzertierten Aktion Pflege“ eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Situation in der Altenpflege erreichen. Deshalb entwickeln wir verbindliche Personalbemessungsinstrumente, auch im Hinblick auf die Pflegesituation in der Nacht. Die „Konzertierte Aktion Pflege“ umfasst u. a. eine Ausbildungsoffensive, Anreize für eine bessere Rückkehr von Teil- in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten sowie eine Weiterqualifizierung von Pflegehelferinnen und Pflegehelfern zu Pflegefachkräften.
Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken. Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen. Wir wollen angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Altenpflege. Dafür schaffen wir die gesetzlichen Voraussetzungen. Im Krankenhausbereich werden wir eine vollständige Refinanzierung vor Tarifsteigerungen herbeiführen, verbunden mit der Nachweispflicht, dass dies auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt. Wir bitten die Pflegemindestlohnkommission, sich zeitnah mit der Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West zu befassen.
Wir werden die ambulante Alten- und Krankenpflege insbesondere im ländlichen Raum stärken. Dazu gehört u. a. eine bessere Honorierung der Wegezeiten, wenn die Versorgung nur mit längeren Anfahrtswegen sichergestellt werden kann.
Um Angehörige besser zu unterstützen, gehören insbesondere Angebote in der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie in der Tages- und Nachtpflege, die besonders pflegende Angehörige entlasten, zu einer guten pflegerischen Infrastruktur. Wir wollen die o. g. Leistungen, die besonders pflegende Angehörige entlasten, zu einem jährlichen Entlastungsbudget zusammenfassen, das flexibel in Anspruch genommen werden kann. Damit können wir erheblich zur Entbürokratisierung in der ambulanten Pflege beitragen, die häusliche Versorgung stärken und pflegende Angehörige entlasten. Wir werden die Angebote für eine verlässliche Kurzzeitpflege stärken, indem wir eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung sicherstellen. Um die Situation pflegender Angehöriger zu verbessern, werden sie einen Anspruch auf medizinisch erforderliche Rehabilitationsleistung nach ärztlicher Verordnung erhalten.
Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern soll künftig erst ab einem Einkommen in Höhe von 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden.
Wir wollen möglichst frühzeitig Pflegebedürftigkeit vermeiden. Dafür fördern wir den präventiven Hausbesuch durch Mittel des Präventionsgesetzes. Kommunen sollen mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten bei der Ausrichtung der pflegerischen Versorgungsangebote vor Ort im Rahmen der Versorgungsverträge erhalten.
Pflegebedürftige Menschen haben einen hohen Bedarf an medizinischen Leistungen. Die kassenärztlichen Vereinigungen und die Pflegeeinrichtungen werden verpflichtet, Kooperationsverträge abzuschließen.
Den Auftrag an Kassen und Krankenhäuser, Personaluntergrenzen für pflegeintensive Bereiche festzulegen, werden wir dergestalt erweitern, dass in Krankenhäusern derartige Untergrenzen nicht nur für pflegeintensive Bereiche, sondern für alle bettenführenden Abteilungen eingeführt werden.
Sektorübergreifende Versorgung
Die Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen müssen ausgebaut und verstärkt werden. Für eine sektorenübergreifende Versorgung wollen wir weitere nachhaltige Schritte einleiten, damit sich die Behandlungsverläufe ausschließlich am medizinisch-pflegerischen Bedarf der Patientinnen und Patienten ausrichten.
Wir werden eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag einrichten. Diese Arbeitsgruppe wird Vorschläge für die Weiterentwicklung zu einer sektorenübergreifenden Versorgung des stationären und ambulanten Systems im Hinblick auf Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung, Kodierung, Dokumentation, Kooperation der Gesundheitsberufe und Qualitätssicherung unter Berücksichtigung der telematischen Infrastruktur bis 2020 vorlegen. Dabei sollen Spielräume für regionale Ausgestaltungen ermöglicht werden.
Ambulante Versorgung
Wir werden in einem Sofortprogramm die Leistungen und den Zugang zur Versorgung für gesetzlich Versicherte verbessern. Dazu werden die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen unter einer bundesweit einheitlichen, einprägsamen Telefonnummer von 8 bis 18 Uhr erreichbar sein und auch haus- und kinderärztliche Termine vermitteln.
Das Mindestsprechstundenangebot der Vertragsärzte für die Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten wird von 20 auf 25 Stunden erhöht. Ärztinnen und Ärzte, die in wirtschaftlich schwachen und unterversorgten ländlichen Räumen praktizieren, werden über regionale Zuschläge besonders unterstützt. Dazu werden die hausärztliche Versorgung und die „sprechende Medizin“ besser vergütet. Dies beinhaltet auch die koordinierenden Leistungen, inklusive der Terminvermittlung zum Facharzt.
Die Möglichkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Sicherstellung durch Eigeneinrichtungen zu gewährleisten, wird erweitert.
Wir werden weiterhin darauf drängen, dass die Bedarfsplanung zur Verteilung der Arztsitze kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler gestaltet wird. In ländlichen oder strukturschwachen Gebieten entfallen Zulassungssperren für die Neuniederlassung von Ärztinnen und Ärzten. Die Bestimmung der von dieser Regelung erfassten Gebiete obliegt den Ländern.
Wir werden die Strukturfonds der Kassenärztlichen Vereinigungen erhöhen, verbindlicher ausgestalten und im Verwendungszweck flexibilisieren. Die Länder erhalten ein Mitberatungs- und Antragsrecht in den Zulassungsausschüssen der Kassenärztlichen Vereinigungen.
Wir werden den Innovationsfonds über das Jahr 2019 mit einem Volumen von 200 Millionen Euro jährlich fortsetzen. Wir wollen gewährleisten, dass erfolgreiche Versorgungsansätze zügig in die Regelversorgung überführt werden. Eigene Modellprojekte des Bundesministeriums für Gesundheit wollen wir ermöglichen.
Wir wollen gezielt Volkskrankheiten wie Krebs, Demenz oder psychische Störungen bekämpfen. Dabei betonen wir die nationale Diabetesstrategie. Wir werden die Disease-Management-Programme weiter stärken, insbesondere durch eine Umsetzung der Programme für Rückenschmerz und Depressionen.
Die Festzuschüsse für Zahnersatz werden wir von bisher 50 Prozent auf 60 Prozent erhöhen.
Zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung gehören für uns neben einer gut erreichbaren ärztlichen Versorgung auch eine wohnortnahe Geburtshilfe, Hebammen und Apotheken vor Ort.
Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.
Wir werden die Hospiz- und Palliativversorgung weiter stärken, insbesondere durch Kostenübernahme für die Koordination von Hospiz- und Palliativversorgungsnetzwerken sowie durch Verbesserungen bei der Versorgung von Kindern und in Altenpflegeeinrichtungen. Wir werden zeitnah überprüfen, ob die zuschussfähigen Leistungen bei den Hospizen angemessen erfasst sind.
Wir wollen prüfen, ob eine Herausnahme der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch eine entsprechende Klarstellung in § 69 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch V erforderlich ist.
Wir werden die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung stärken, deren Unabhängigkeit gewährleisten und für bundesweit einheitliche und verbindliche Rege-lungen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung Sorge tragen.
Damit medizinische Innovationen schneller in die Regelversorgung gelangen, werden wir die Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses beschleunigen, indem der Aufgabenkatalog und die Ablaufstrukturen gestrafft werden. Über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden soll zukünftig schneller entschieden werden Den Ländern werden künftig in den Beratungen zur Bedarfsplanung und zu allen Aspekten der Qualitätssicherung die gleichen Rechte und Pflichten wie den Patientenvertretern eingeräumt.
Sowohl die ambulante Honorarordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM), als auch die Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden. Deshalb wollen wir ein modernes Vergütungssystem schaffen, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet. Dies bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung. Die Bundesregierung wird dazu auf Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums eine wissenschaftliche Kommission einsetzen, die bis Ende 2019 unter Berücksichtigung aller hiermit zusammenhängenden medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen Vorschläge vorlegt. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.