22.06.2017
Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes (Drucksache 18/12510)
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) (Drucksache 18/12827)
Sehr geehrter Herr Präsident (sehr geehrte Frau Präsidentin),
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir beraten heute den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes.
Das Bundesarbeitsgericht stellte im Jahre 2016 fest, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge, die dem Sozialkassenverfahren der Baubranche zugrunde liegen, Fehler unterliegen. Hierbei handelte es ich um die Thematik einer fehlenden Ministerbefassung und um die Thematik der Feststellung der 50 % Grenze. Diese Gründe sind allgemeiner Natur und beziehen sich daher nicht nur auf das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, sondern im Ergebnis auch auf alle Sozialkassenverfahren aller Branchen bzw. deren Tarifverträge, die ein solches Verfahren eingerichtet haben.
Aus diesem Grund ist es konsequent, auch die Tarifverträge, die den Sozialkassenverfahren in anderen Branchen zugrunde liegen, entsprechend zu heilen und die Formfehler zu beseitigen. Bei den 11 Branchen, die betroffen sind, handelt es sich um das Maler- und Lackiererhandwerk, das Dachdeckerhandwerk, das Gerüstbauerhand-werk, das Steinmetz- und Steinbildhauerhand-werk, das Betonsteingewerbe, das Stein- und Erden-Industrie nebst Betonsteinhandwerk und Ziegelindustrie, das Bäckerhandwerk, die Brot- und Backwarenindustrie, das Garten-, Landschafts- und Sportplatzbaugewerbe, die Land- und Forstwirtschaft und die Redakteurin und Redakteure von Tageszeitungen.
In § 41 des Gesetzes wird auch die Tariffähigkeit der jeweiligen Branchenverbände angesprochen und die Tarifverträge auch diesbezüglich für wirksam erklärt. Unabhängig davon, ob nun die hier in Rede stehenden Branchenverbände tatsächlich von dieser Regelung betroffen sind, ist es nunmehr geboten und auch die Pflicht der jeweiligen Branchenverbände genauestens zu überprüfen, ob ihre Tariffähigkeit sich tatsächlich aus ihren Statuten ergeben und die Tariffähigkeit gerichtsfest ist.
Darüber hinaus sind die hier angesprochenen Branchen auch in der Verpflichtung, bestehende Abgrenzungsprobleme zwischen den Branchen zu beheben. Hier stehen die Branchen und die entsprechenden Verbände in meinen Augen nun in der Pflicht. Auch in den hier genannten Branchen gibt es ähnliche Abgrenzungsprobleme, die jeweils andersartig ausgestaltet sind. Hier erwarte ich nun einvernehmliche Lösungen, die allen Branchen gerecht werden.
Mit dem heutigen Gesetz nehmen wir auch eine Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes in § 98 Abs. 6 vor. Dort soll den Sozialkassen die Möglichkeit eröffnet werden, auf Antrag das betroffene Unternehmen zur vorläufigen Leistung der Sozialkassenbeiträge zu verpflichten. Dies gilt für den Fall, dass die Allgemeinverbindlicherklärung in einem anhängigen Rechtsstreit in ihrer Wirksamkeit bestritten wird. In einem solchen Fall ist das Gericht dann gehalten, das Verfahren auszusetzen bis über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung entschieden worden ist. Dies führt zu einer Verlängerung des Rechtsstreits, bei der die Unternehmen bisher nicht verpflichtet sind, Zahlungen an die Sozialkasse zu leisten. Bevor das Unternehmen jedoch auf Antrag der Sozialkasse durch das Gericht zur vorläufigen Leistung verpflichtet werden kann, ist jedoch eingehend die Erfolgsaussicht des derzeitigen Sach- und Streitstandes zu prüfen. Wenn der bisherige Sach- und Streitstand zu der Erkenntnis führt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung offen-sichtlich unwirksam ist oder der Unternehmer glaubhaft macht, dass die vorläufige Leistungspflicht ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so unterbleibt die Anordnung und der genannte Antrag ist abzulehnen.
Überdies kann eine solche Zahlungsanordnung nur dann erfolgen, wenn alle weiteren anspruchsbegründenden Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, so auch der betriebliche Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags bezogen auf das betroffene Unternehmen geklärt ist. Es müssen quasi zunächst einmal alle Voraussetzungen zur Anspruchsbegründung vorliegen, bevor die vorläufige Zahlungsanordnung durch das Gericht gegenüber dem Unternehmen verfügt werden kann. Ob die Rechtsgrundlage, auf derer das Unternehmen durch eine Sozialkasse in Anspruch genommen wird, also überhaupt rechtswirksam ist, wird erst ganz zum Schluss überprüft. Während dessen soll allerdings schon eine vorläufige Zahlungsverpflichtung des Unternehmens an die Sozialkasse möglich sein.
Diese Regelung stellt eine Abkehr vom bisherigen Grundsatz dar, dass eine Zahlung erst dann erfolgen muss, wenn auch ein entsprechender Titel (z. B. Urteil) vorliegt. Daher ist hier auch sehr deutlich zu betonen, dass diese Ausnahmeregelung lediglich nur für die hier genannten Fälle gelten kann und nicht darüber hinaus bzw. erweitert werden kann und darf.
Aufgrund dieser Besonderheit, ist mit einem solchen Antrag sehr sorgsam umzugehen. Hier ist der Gesetzgeber gehalten, die Entwicklung aufmerksam zu beobachten und ggf. entstehenden Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.
Darüber hinaus sind die Sozialkassen in solchen Fällen auch verpflichtet, Rückstellungen zu bilden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen das von ihnen geleistete Geld an die Sozialkasse sofort wieder zurückerhalten, wenn sie das Verfahren im Ergebnis doch gewonnen haben. In diesem Fall hätten sie zu Unrecht gezahlt und haben damit auch ein Recht darauf, das Geld unverzüglich zurückzubekommen.
Außerdem dürfen sich die Sozialkassen in diesem Fall auch nicht auf die Einrede der Entreicherung berufen. Wenn sie also aufgrund der erhaltenen Zahlungen durch die Unternehmen Zahlungen an Dritte geleistet haben, z. B. den Arbeitnehmern des Unternehmens, dann trägt die Sozialkasse das Risiko, diese Beträge trotzdem an das Unternehmen zurückzuzahlen.
Da die Abwicklung bzw. Rückabwicklung eines derartigen Falles sehr aufwendig und kompliziert sein wird, ist hier den Sozialkassen zu raten, sehr behutsam und sorgsam mit den Möglichkeiten aus dem neuen § 98 Abs. 6 ArbGG umzugehen.
Da diese Regelung eine Besonderheit ist, wird im neuen § 113 ArbGG geregelt, dass die Bundesregierung sie drei Jahre nach Inkrafttreten auf den Prüfstand zu stellen hat. Die Auswirkungen sollen durch die Bundesregierung überprüft werden und es soll eine Einschätzung abgegeben werden, ob an dieser Regelung in § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG weiter festgehalten werden soll.
Ich hoffe sehr, dass sich bis dahin die Situation um die Sozialkassen beruhigt hat.
Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, die Entwicklungen im Rahmen der Gesamtsituation um die Sozialkassen herum aufmerksam zu verfolgen. Zum einen muss beobachtet werden, wie sich die Gesetzesänderungen ausgewirkt haben. Zum anderen muss allerdings auch beobachtet werden, ob die Aufgaben, die die Branchen und Verbände aus dem gesamten Verfahren heraus noch zu erfüllen haben, auch tatsächlich erledigt und erfüllt worden sind.
Hier spreche ich die Tariffähigkeit der Branchen an. Hier müssen die Satzungen entsprechend überarbeitet werden und die Verbände ihren Aufgaben nachkommen. Es wäre dem Gesetzgeber sicherlich schwer zu vermitteln, dass er zukünftig noch einmal tätig werden müsste, um Versäumnisse an dieser Stelle noch zu reparieren. Der Gesetzgeber ist durch sein Handeln in Vorleistung getreten. Nun sind alle Betroffenen in der Pflicht, ihre noch ausstehenden Aufgaben zu erfüllen.
Ergänzend dazu sind die Abgrenzungsschwierigkeiten zu regeln. Daher müssen hier Branchenabsprachen getroffen werden und insbesondere die Verbändevereinbarung im Rahmen des Soka-SiG I umgesetzt werden. Dies sollte in meinen Augen nun zügig und ohne weitere Verzögerungen erfolgen. Wie gesagt: Der Gesetzgeber ist in Vorleistung getreten, in der Erwartung, dass die Branchen nun die ihnen obliegenden Aufgaben und Verabredungen erfüllen. Zur Abgrenzung der Branchenzugehörigkeit von Unternehmen können sicherlich Konsultationsverfahren helfen und sollten hier auch über die bisherigen Absprachen hinaus eingerichtet werden. Letztlich sollten die Sozialkassen auch ihre Herangehensweise in jedem Einzelfall auf den Prüfstand stellen. Dabei sollte auch immer berücksichtigt werden, dass die Sozialkassen keine staatlichen, sondern private von den Tarifpartnern gegründete Einrichtungen sind.
Ich persönlich werde die Entwicklungen jedenfalls aufmerksam verfolgen und mir auch als Teil der Gesetzgebung erlauben, zu gegebener Zeit Nachfragen zu stellen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.