23.06.2017
Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Drucksache 18/12354)
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) (Drucksache 18/12624)
Wilfried Oellers (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich schließt sich heute zum Ende meiner ersten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag – ich hoffe, dass noch einige folgen werden – gewissermaßen ein Kreis. Meine erste Rede im Deutschen Bundestag durfte ich genau zu diesem Thema halten. Ich gehe davon aus, dass dies meine letzte Rede in dieser Legislaturperiode sein wird, und ich darf wieder zum selben Thema reden. Dazwischen lagen sieben Reden, wie Sie eben sagten, Frau Hiller-Ohm. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie oft wir über dieses Thema debattiert haben.
(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ja, sieben!)
Aber in meinen Augen war bei jeder Debatte die Sachlage nicht unbedingt verändert.
Für manche ist vielleicht vieles eine Wiederholung, was ich heute sage; aber ich will die Problematik ein bisschen versachlichen und sie von der Bauchebene wegholen. Zudem möchte ich auf bestimmte Dinge eingehen, die in der heutigen Diskussion in meinen Augen zu wenig beachtet worden sind.
Natürlich – das sage ich vorweg ganz deutlich – wäre es uns und auch mir persönlich am liebsten, wenn wir nur unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse hätten und die Befristungsquote quasi bei null läge. Aber die Realität ist leider Gottes eine andere, und auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten sehen anders aus. Um die Bedeutung der Befristungen und auch der sachgrundlosen Befristungen noch mehr hervorzuheben, muss man ganz deutlich sagen, dass die Befristungen für viele Beschäftigte, die jetzt einen Arbeitsplatz haben, auch eine Brücke in den Arbeitsmarkt waren.
(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das stimmt eben gerade nicht!)
– Doch, das stimmt sehr wohl. Schauen Sie sich das doch mal an.
(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das stimmt nicht!)
Jetzt kommen wir mal auf Zahlen zu sprechen: Mittlerweile erreicht die Anzahl der Erwerbstätigen einen Rekord. Die Zahl von 44 Millionen ist schon angekratzt. Bei welchen Zahlen lagen wir 2005? Karl Schiewerling ist eben darauf eingegangen, ich brauche das nicht zu wiederholen. Das Gleiche gilt für die Arbeitslosenzahl. Diese ist von 2005 von 5 Millionen auf mittlerweile ungefähr 2,6 Millionen zurückgegangen.
(Katja Mast (SPD): Das ist auch gut so, hat aber nichts mit sachgrundloser Befristung zu tun!)
Das ist so. Die Brückenfunktion hat funktioniert, weil die befristeten Beschäftigungen im Rahmen des Klebeeffekts durch Übernahmen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse übergegangen sind.
(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Über sieben Jahre, über zehn Jahre!)
Insbesondere haben wir Übernahmequoten, die bei annähernd 40 Prozent liegen, und diese Quote finde ich persönlich sehr hoch.
(Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und warum können die Menschen nicht gleich richtig eingestellt werden?)
Schauen Sie sich einmal die befristeten Beschäftigungsverhältnisse an. Sie können hier natürlich mit absoluten Zahlen arbeiten und sagen, die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse steigt stetig. Dann müssen Sie aber auch dazusagen, dass die Arbeitslosenzahlen weiter sinken und dass die Erwerbstätigenzahlen weiter steigen. Das geht natürlich damit einher. Wichtig ist, dass man den prozentualen Zusammenhang und die Relation sieht.
Vizepräsidentin Michaela Noll:
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Ernst zu?
Wilfried Oellers (CDU/CSU):
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Wir debattieren dieses Thema jetzt zum siebten oder achten Mal im Deutschen Bundestag. Da sind alle Zwischenfragen gestellt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist so, dass wir bei einer Befristungsquote von circa 7 Prozent liegen. Wenn wir uns anschauen, wie der Verlauf in den letzten Jahren ist, dann muss man sagen, dass der Verlauf zeigt, dass die Befristungen ihre Funktion erfüllt haben. Ja, wenn wir den Zeitraum ab 2000 betrachten, dann hatten wir bis 2010 einen Anstieg der Anzahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse. Ich weise aber auch darauf hin, dass wir 2008/2009 eine Wirtschaftskrise zu bewältigen hatten und dass es gerade die befristeten Beschäftigungsverhältnisse waren, die dazu geführt haben, dass die Menschen in Arbeit gekommen sind und dass wir daraufhin gut aus der Wirtschaftskrise herausgekommen sind. Seit 2010 sinkt die Zahl wieder. Das zeigt ganz deutlich, dass die Arbeitgeber mit diesem Instrument sorgfältig umgehen.
Wenn wir uns die konkreten Branchen anschauen, dann muss man sagen: Von den 7 Prozent befristeten Beschäftigungsverhältnissen sind mehr als die Hälfte im öffentlichen Dienst angesiedelt. Wenn ich zu diesem Bereich den wissenschaftlichen Bereich noch hinzunehme, dann sind es von dieser Hälfte wiederum mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst, die ebenfalls befristet sind. Was haben wir gemacht? Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – ich hoffe, ich habe es richtig bezeichnet – auf den Weg gebracht, um entsprechende Regelungen einzuführen. Das heißt, die Privatwirtschaft als solche steht hier etwas außen vor.
Ich will Ihnen jetzt ein paar Beispiele aus der öffentlichen Hand nennen. Frau Hiller-Ohm, Sie haben uns eben sehr stark angegriffen. Jetzt darf ich den Ball einmal zurückspielen. Ihr Nochfinanzminister in Nordrhein-Westfalen Walter-Borjans schreibt Stellen sachgrundlos befristet aus. Sie hätten ihm mal Bescheid sagen sollen, dass er das vielleicht nicht tun sollte. Sie machen selber von dem Instrument Gebrauch.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast (SPD): Auch der Borjans wollte es abschaffen!)
Darüber hinaus darf ich aber vielleicht einmal ein positives Beispiel aus der öffentlichen Hand bringen. Ich darf dabei aus meinem Wahlkreis berichten. In meinem Wahlkreis gibt es eine Behörde, in der der Behördenleiter irgendwann sagte: Mensch, ich habe hier vier Beschäftigte, denen ich stets die befristeten Schwangerschaftsvertretungsarbeitsverhältnisse verlängert habe. Das ist ein Sachgrund, der zieht und gegen den im Ergebnis keiner etwas sagen kann. Was hat er sich aber gesagt? Er sagte: Mensch, die Leute können ja nicht richtig planen. Das war immer Ihr Argument. Was hat der Behördenleiter gemacht? Der Behördenleiter hat gesagt: Komm, wir stellen die jetzt unbefristet ein, weil mein Apparat so groß ist, dass ich im Verlauf der Jahre ständig eine Schwangerschaftsvertretung brauchen werde. Deswegen kann ich gleich unbefristet einstellen.
Ich darf in diesem Rahmen erwähnen – das erfüllt mich auch mit einem gewissen Stolz -, dass dieser Behördenleiter der CDU angehört.
(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Guter Mann! Es kann ja nicht alles falsch sein!)
Was geschah aber in der Debatte im entsprechenden Kommunalgremium? Ich darf hier auch sagen, dass die CDU in diesem Gremium die absolute Mehrheit hat. Die Opposition hat losgelegt und gewettert: Mensch, wie kann man denn jetzt wieder die Personaldecke erhöhen! Dann hat man ihr erklärt, was die Hintergründe waren. Ich habe es gerade gesagt. Dazu muss man ganz ehrlich sagen: Da sollte man ganz kleine Brötchen backen, auch von Ihrer Seite aus.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Lassen Sie mich noch einige Worte zur sachgrundlosen Befristung verlieren; denn das ist mir ganz besonders wichtig. Die sachgrundlose Befristung ist das einzige unbürokratische Flexibilisierungsinstrument, das wir noch im Arbeitsrecht haben. Alle anderen Flexibilisierungsinstrumente sind sehr stark reguliert. Wenn wir wollen, dass die Wirtschaft noch atmen und auf Auftragsspitzen reagieren kann, wenn wir wollen, dass die Wirtschaft auf die ungewisse Zukunft reagieren kann, weil sie nicht weiß, wie sich die Konjunktur entwickelt und wie die Entwicklung im Unternehmen verlaufen wird, dann brauchen wir ein Instrument, mit dem die Unternehmer flexibel umgehen können.
Das Instrument der sachgrundlosen Befristung ist auf zwei Jahre beschränkt. Ich halte das für einen vertretbaren Zeitraum.
(Katja Mast (SPD): Wir nicht!)
Wenn das Beschäftigungsverhältnis weiterläuft, dann mündet es sofort in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Ich halte es für geboten, dass wir daran festhalten. Ich muss ganz ehrlich sagen: Die Entwicklung am Arbeitsmarkt – Karl Schiewerling hat es eben schon gesagt – zeigt doch, dass dieser Weg der richtige war. Wichtig ist, dass die Menschen in Beschäftigung kommen, am liebsten natürlich unbefristet, aber wir müssen auch den besonderen Gegebenheiten in einer gewissen Weise Rechnung tragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe eben erwähnt, dass ich ein neuer Abgeordneter bin. Deswegen steht es mir vielleicht nicht unbedingt zu – andere wären vielleicht geeigneter, die Aufgabe zu übernehmen -, das zu sagen, was ich jetzt sagen werde. Ich bin der erste Redner nach Karl Schiewerling. Karl Schiewerling hat gerade seinen Abschied angekündigt.
Lieber Karl, ich darf dir an dieser Stelle für unsere Arbeitsgruppe, aber auch für die gesamte Fraktion einen sehr herzlichen Dank für deine Arbeit aussprechen. Dieser Dank kommt wirklich von Herzen. Karl, du warst jemand – das habe ich in dieser Legislaturperiode und auch alle anderen, die mit dir zu tun haben, erfahren -, der immer ein ausgleichendes Wesen hatte. Dieses ausgleichende Wesen hat es dir immer ermöglicht, nicht nur Brücken zu bauen, sondern auch Brücken wieder aufzubauen, die einmal eingerissen worden sind. Das ist noch viel schwieriger, als neue Brücken zu bauen, muss man ganz ehrlich sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Diskussionen über die Gesetze, die wir beraten haben, waren nicht immer ganz einfach. Aber deine ruhige Art und das Bewusstsein, dass wir ein Ziel vor Augen haben, waren immer sehr wichtig. Du hast eben von Werten gesprochen. Damit kann ich den Bogen zu der Feststellung schlagen, dass diese Werte für dich immer der entsprechende Kompass waren. Mit deiner Überzeugungskraft und auch mit deiner Art warst du für jeden eine Vertrauensperson. Das möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich gesagt haben. Vom kleinsten Abgeordneten bis hin zur Führungsspitze hast du sehr großes Vertrauen genossen. Deswegen darf ich dir im Namen der Arbeitsgruppe, aber auch der Fraktion für die Zukunft alles erdenklich Gute wünschen und insbesondere Gottes Segen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Michaela Noll:
Herzlichen Dank, Herr Kollege Oellers. – Den Wünschen schließe ich mich gerne an.
Bevor wir die Aussprache fortsetzen, erteile ich dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort für eine Kurzintervention – Betonung auf „kurz“.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
…..
Vizepräsidentin Michaela Noll:
Herr Kollege, möchten Sie darauf erwidern? – Bitte.
Wilfried Oellers (CDU/CSU):
Herr Ernst, folgende Erwiderung darauf: Es ist nicht richtig, dass ich gesagt habe, dass Befristung das einzige Flexibilisierungsinstrument ist. Sie haben das wichtigste Adjektiv dabei vergessen – darauf kommt es mir an -: Ich halte Befristung für das einzige unbürokratische Flexibilisierungsinstrument. Alle anderen Flexibilisierungsinstrumente sind mit sehr hohem Dokumentationsaufwand verbunden.
Deswegen ist es mir wichtig, dass Sie von der heutigen Debatte in Erinnerung behalten – bitte nicht verwechseln -: Das ist das unbürokratischste Flexibilisierungsinstrument; denn ein Arbeitgeber braucht sich in den zwei Jahren einer Befristung keine Gedanken über das Vorhandensein eines bestimmten Sachgrunds zu machen.
Wenn sich bei Befristung mit Sachgrund der Sachgrund ändert, kann ein Arbeitgeber dahin gehend gerichtliche Schwierigkeiten bekommen, dass geklärt werden muss, ob der neue Sachgrund für eine Befristung überhaupt greift. Die Praxis müssen Sie sich von daher ein bisschen genauer anschauen.
Es ist auch nicht richtig, dass die meisten Beschäftigungsverhältnisse sachgrundlos eingegangen werden. Es gibt genügend Branchen – da verweise ich insbesondere auf das Handwerk -, die händeringend nach Fachkräften suchen. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Dazu passt Ihre Argumentation gar nicht.
Im Übrigen, was die Zahlen betrifft – Sie haben gerade noch Zahlen genannt -: Ich will es bei dem zeitlichen Rahmen dieser Debatte belassen. Ich verweise auf meine acht dazu in der Vergangenheit gehaltenen Reden. Da ist das zahlenmäßig alles schön aufgearbeitet. Das können Sie sich einmal durchlesen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)