Tagesordnungspunkt 6:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)
Drucksache 18/4062
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE.
Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen
Drucksache 18/4184
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Wilfried Oellers das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2010 nahm das Bundesarbeitsgericht Abstand von seiner bis dato geltenden Rechtsprechung zur Tarifeinheit. Galten für einen Betrieb mehrere Tarifverträge, so wurde die Tarifkollision nach dem Grundsatz der Spezialität gelöst. Die Regel lautete: Ein Betrieb – ein Tarifvertrag. Dies gilt seit 2010 nun nicht mehr. Weder das Gesetz noch die Rechtsprechung lösen derzeit die Situation von Tarifkollisionen. Dies soll nun durch das Tarifeinheitsgesetz geschehen.
Hierbei sind zwei wesentliche Grundsätze zu berücksichtigen und zu beachten: zum einen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes und zum anderen das hohe Gut des Betriebsfriedens. Beide Grundsätze sind es, die Deutschland zu Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg verholfen haben.
Der Gesetzentwurf sieht vor, Tarifkollisionen nach dem Grundsatz des betrieblichen Mehrheitsprinzips zu lösen. Dabei liegt eine Kollision nur dann vor, wenn sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden. Das heißt, dass Vereinbarungen der betroffenen Gewerkschaften einer Lösung der Kollision nach dem Mehrheitsprinzip immer vorgehen. So können Gewerkschaften zum Beispiel ihre Zuständigkeiten untereinander abstimmen und ihre Tarifverträge im Rahmen einer gewillkürten Tarifpluralität regeln und abklären.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das können sie jetzt auch schon!)
Gewerkschaften können in Tarifgemeinschaften Tarifverträge aushandeln oder inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen, ohne in einer Tarifgemeinschaft verbunden zu sein. Sie können auch den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft im Rahmen eines Anschlusstarifvertrags nachzeichnen, oder sie können verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren nutzen.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Oellers, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller-Gemmeke zu?
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ja, gerne.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen darf. – Es geht die ganze Zeit darum, was das Gesetz überhaupt bewirkt bzw. warum das Gesetz gemacht wird. Als Grund werden die vielen Kollisionen von Tarifverträgen genannt. Sie haben eben all die Möglichkeiten aufgezählt, die Gewerkschaften haben, sich zu einigen. Das ist Realität; dafür braucht man kein Gesetz.
Ich möchte nachfragen: Wie viele Tarifkollisionen gibt es eigentlich, die dazu führten, dass das Gesetz gemacht wird? Vorhin habe ich gesagt, dass ich dazu auf die Kleine Anfrage keine Antwort bekommen habe. Ich kenne genau zwei Kollisionen. Die Piloten haben keine Kollision; denn sie haben keine Konkurrenz. Bei den Ärzten gibt es eine Tarifkollision. Da gibt es aber momentan keine Probleme, sondern da werden einfach die unterschiedlichen Tarifverträge angewandt. Wenn das Tarifeinheitsgesetz kommt, werden dort die Probleme erst richtig anfangen. Momentan gibt es jedoch eine echte Kollision, und zwar bei der Bahn. Früher haben sich EVG und GDL besprochen und einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Dieser wurde dann aufgelöst. Ich glaube, wenn es das Gesetz nicht geben würde, hätten wir auch in diesem Bereich weniger Probleme.
Meine Frage lautet: Wie viele tatsächliche Kollisionen kennen Sie? Warum wird das Gesetz gemacht? Kann es sein, dass das Gesetz nur wegen der Bahn gemacht wird?
(Beifall der Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Das Gesetz wird sicherlich nicht nur wegen der Bahn gemacht. Der aktuelle Streik ist auch ein Zuständigkeitsstreit, auf den ich gleich eingehen werde. Der Gesetzgeber hat aber vor allem dann vorsorglich zu handeln, wenn – wie dargelegt – die Tarifpartner eine entsprechende Bitte an den Gesetzgeber herantragen. Es sind die Gewerkschaften unter dem Dach des DGB genannt worden, die damit nicht einverstanden sind. Insgesamt aber liegt es an den Tarifpartnern, ob ein solcher Tarifvertrag gewünscht wird.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Kollisionen gibt es denn jetzt?)
Es gilt sicherlich, bestimmte Fälle vorsorglich zu regeln.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie viele Fälle kennen Sie? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Frage nicht beantwortet!)
– Wenn Sie das so sehen, müssen Sie das so zur Kenntnis nehmen.
Ich will aber fortfahren. Von Herrn Ernst wurde eingeworfen, dass es all die Möglichkeiten, die ich aufgezählt habe, schon gibt. Ich will betonen, dass gerade diese Möglichkeiten den Gewerkschaften weiterhin zur Verfügung stehen. Nur in einem Konfliktfall, der nicht gelöst werden kann, greift erst einmal subsidiär die Kollisionsregel der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip. Diese Regelung führt dazu, dass die Solidarität der Belegschaft untereinander gestärkt wird.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das Gegenteil ist der Fall! Der Streik der GDL ist eine Folge davon!)
Schlüsselpositionen im Betriebsablauf, die ein höheres Druckpotenzial im Hinblick auf den Arbeitgeber darstellen, können somit nicht lediglich zum eigenen Vorteil und damit zulasten der anderen Kolleginnen und Kollegen genutzt werden. Dies dient dem Schutz der Schwächeren, verhindert innerbetriebliche Verteilungskämpfe und dient dem hohen Gut des Betriebsfriedens.
Das Arbeitskampfrecht wird entgegen anderer Auffassung hier im Haus durch diese Regelung nicht geändert. Die Entscheidung, ob ein Arbeitskampf rechtmäßig ist oder nicht, liegt nach wie vor bei den Arbeitsgerichten, die die Verhältnismäßigkeit und damit auch die Rechtmäßigkeit eines Streiks in jedem Einzelfall zu prüfen haben. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, neben dem Grundsatz der Tarifeinheit Strukturen des Arbeitgebers sowie die Reichweite von Tarifverträgen. Nur in den seltensten Fällen haben die Arbeitsgerichte in der Vergangenheit einen Streik für unverhältnismäßig erklärt.Selbst beim Streik der Vorfeldbeschäftigten am Frankfurter Flughafen im Jahr 2012 sah das Arbeitsgericht weniger Probleme bei der Verhältnismäßigkeit. Vielmehr lag hier ein Verstoß gegen die Friedenspflicht vor, da noch ein gültiger Tarifvertrag bestand.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eine Frage, ganz kurz! Ein Satz!)
Für verhältnismäßig hielt das Arbeitsgericht Berlin im Jahr 2013 gar einen Streik von angestellten Lehrern an einem Tag, an dem Abiturprüfungen für einen Leistungskurs stattfanden. An diesen Beispielen sieht man deutlich, welche Maßstäbe die Rechtsprechung bei der Verhältnismäßigkeit setzt.
Über die Frage der Verfassungsmäßigkeit wird intensiv diskutiert. Die Verfassungsressorts sowie die Juristen des Kanzleramts und des Arbeitsministeriums haben den Gesetzentwurf für verfassungsgemäß gehalten; er ist verabschiedet worden. Ebenfalls – auch das sei erwähnt – hat der Bundesrat in seiner ersten Lesung keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf erhoben. Es sei deutlich betont, dass alle in diesem Hause vertretenen Parteien auch im Bundesrat vertreten sind.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Herr Oellers, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage – eine Frage, einen Satz – vom Kollegen Ernst zu?
Wilfried Oellers (CDU/CSU):
Gerne.
Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich mache es wirklich ganz kurz. – Sie stellen den Betriebsfrieden mit dem Koalitionsrecht gleich; das Koalitionsrecht ist in Artikel 9 des Grundgesetzes geregelt. Wo finden wir im Grundgesetz den Betriebsfrieden?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war wirklich ein Satz, Frau Präsidentin! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man mit einem Satz beantworten! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das steht im Verfassungsgerichtsurteil! – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: In der Verfassung steht kein Kulturgut, aber das ist eines!)
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Herr Ernst, das war nur eine Frage, ein Satz. Vielen Dank. – Diese Frage haben wir schon im Rahmen der letzten Diskussion über dieses Thema in diesem Hause beantwortet. Sicherlich ist die Koalitionsfreiheit in der Verfassung geregelt. Das hohe Gut des Betriebsfriedens hat sich aus der Tarifpolitik an sich herausgebildet und ist hier sicherlich auch zu berücksichtigen.
(Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Also nicht in der Verfassung! Sie kennen keinen Artikel in der Verfassung, wo das drinsteht?)
– Ich habe Ihre Frage gerade beantwortet.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Okay! Damit ist das beantwortet, oder?)
Sicherlich gibt es in der derzeitigen Diskussion auch kritische Stimmen zu dem Gesetzentwurf. In der Literatur gibt es aber auch befürwortende Stimmen zu diesem Gesetzentwurf. Diese Diskussion zeigt vor allen Dingen, dass Juristen bei derartigen Fragen nicht immer einer Meinung sind. Der Gesetzentwurf stellt eine Ausgestaltung der Tarifautonomie dar und keinen Eingriff in dieselbige. Die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ist das legitime Ziel dieses Gesetzes. Dies wird vor allen Dingen dadurch deutlich, dass die Regelung der Tarifeinheit subsidiär greift und den Gewerkschaften alle Lösungen ermöglicht, die ich bereits ausgeführt habe. Darüber hinaus steht den Minderheitsgewerkschaften im Falle einer Kollisionslösung durch den Grundsatz der Tarifeinheit ein Anhörungs- und ein Nachzeichnungsrecht zu.
Mit diesem Gesetzentwurf werden Zuständigkeitsfragen geregelt und damit Kollisionssituationen geklärt.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was es in vielfältiger Weise gibt!)
Dies dient insbesondere der Solidarität innerhalb der Belegschaft und der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Auseinandersetzungen über Zuständigkeitsfragen sind vor allem für die Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar. Deswegen wollen die Menschen, dass diese Fragen beantwortet werden. Vor 2010 hat das mit der damaligen Rechtsprechung funktioniert,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein anderes Prinzip! Ist doch logisch, dass das funktioniert!)
wenn auch gewiss unter anderen Voraussetzungen. Doch eines bleibt in jeder Konstellation gleich: Die beste Lösung bei einer Streitfrage bzw. einer Kollision ist, sich zu einigen, auch wenn der Weg dorthin schwer sein kann. Hierzu leistet das Gesetz seinen Beitrag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)