Tagesordnungspunkt 31:
a) Erste Beratung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesetz zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz)
Drucksache 18/3039
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE.
Gesellschaftliche Bedeutung von Whistleblowing anerkennen – Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen
Drucksache 18/3043
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Die Linke und den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern. Missstände, illegales Handeln oder Gefahren werden häufig durch Informationen und Hinweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgedeckt. Sie sind es, die skandalöses Verhalten bzw. skandalöse Handlungen nicht schweigend hinnehmen, sondern durch beherztes Tätigwerden aufdecken und eine entsprechende rechtliche Verfolgung bzw. Ahndung erst ermöglichen.
Diese Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber legen damit eine Zivilcourage an den Tag, die nicht hoch genug gelobt und anerkannt werden kann. Sie gehen ein hohes Risiko ein und setzen für das hohe Gut der Gerechtigkeit gar ihren Ruf und ihre Existenz aufs Spiel. Ich spreche diesen Menschen daher persönlich, aber auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion großen Respekt aus.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Menschen, die sich so sehr für andere einsetzen, müssen vor den ihnen drohenden Nachteilen geschützt werden.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)
Dies ist unbestritten, und dies sind wir ihnen auch schuldig. Hierzu bringen die Oppositionsparteien nun Vorschläge ein, die die Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen sollen. Dabei gilt es jedoch, zunächst einmal zu prüfen, ob nicht bereits das geltende Recht die Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützt.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eben nicht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!)
Auch wenn ein spezielles Schutzgesetz nicht existiert, so stellen wir bei sorgfältiger Prüfung und genauer Betrachtung fest, dass die geltende Rechtslage den Schutz bereits gewährleistet.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Beispiele nennen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Edward Snowden!)
Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist in § 612 a das sogenannte generelle Maßregelverbot geregelt. Hiernach ist es dem Arbeitgeber untersagt, einen Arbeitnehmer im Rahmen einer Vereinbarung oder einer Maßnahme zu benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte geltend macht und ausübt. Darin enthalten ist das von der Rechtsprechung anerkannte allgemeine Anzeigerecht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber. Dieses Anzeigerecht ist von den Arbeitsgerichten wiederholt bestätigt worden, sodass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtswidrig ist, wenn sie mit der Ausübung des Anzeigerechts begründet wird.
Um allerdings die Willkür und den Missbrauch eines solchen Anzeigerechts durch den Arbeitnehmer zu verhindern, unterliegt das Anzeigerecht zu Recht bestimmten Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um sich wirksam auf das Anzeigerecht berufen zu können. Zunächst müssen sich die Hinweisgeber vor Erstattung einer Anzeige ernsthaft um eine innerbetriebliche Klärung bemüht haben. Eine Ausnahme wird hiervon gemacht, wenn es sich um Straftaten mit besonders schweren Folgen handelt. Weiterhin darf eine Anzeige nicht leichtfertig von einem Arbeitnehmer erstattet werden. Er hat den Sachverhalt sorgfältig zu erfassen, sodass er auch nachgewiesen werden kann.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Oellers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ich würde zunächst gerne fortfahren. Vielleicht erübrigt sich dann diese Zwischenfrage.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Okay.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fürchte nicht!)
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Zudem muss die Anzeige darauf gerichtet sein, dem Missstand, illegalem Handeln oder Gefahren nachzugehen und sie zu beseitigen. Die Anzeige darf nicht die Zielrichtung haben, dem Arbeitgeber oder gar Kollegen lediglich zu schaden. Hierdurch würde der Hinweisgeber zu Recht seine Schutzwürdigkeit verlieren. Als eine weitere Voraussetzung muss sich der Hinweisgeber an eine öffentliche Stelle wenden.
Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen – das halte ich für besonders wichtig –, dass dieser gesetzliche Schutz des Arbeitnehmers im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist. Es handelt sich um ein allgemeines Recht, das für alle Arbeitsverhältnisse gilt. Allein diese Norm gewährleistet daher bereits den Schutz von Hinweisgebern.
Wie weit das Maßregelverbot entwickelt ist, zeigen nicht nur die oben genannten Voraussetzungen, sondern auch die umfangreiche Rechtsprechung und die Kommentierung in der Literatur. Sie bieten einen entsprechenden Rechtsschutz. Diese umfangreichen Materialien zeigen jedoch auch deutlich, dass jeder Fall gesondert zu betrachten und rechtlich zu bewerten ist.
Wenn Sie nun behaupten, dass durch Ihre Vorschläge mehr Rechtssicherheit eintreten würde, muss ich Ihnen an dieser Stelle widersprechen. Sämtliche Vorlagen enthalten auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe. Als Beispiel nenne ich hier „Zumutbarkeit“, „öffentliches Interesse“, „betriebliches Interesse“, „Angemessenheit“ und „unsachgemäß“. Als weiteren Punkt möchte ich erwähnen, dass Sie eine Abwägung der jeweiligen Interessen fordern.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, Entschuldigung, aber ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Der Kollege Konstantin von Notz würde Ihnen jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen.
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Dann lasse ich sie gerne zu.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege von Notz.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist freundlich, Herr Kollege. Vielen Dank. – Würden Sie mir zustimmen, dass wir, wenn wir so stark auf die Rechtsprechung bei der Bewertung der angesprochenen Problematiken, die wir beide offensichtlich sehen, abstellen, nicht mehr viele Gesetze machen müssen? Anders formuliert: Finden Sie nicht auch, dass es im Hinblick auf die Rechtssicherheit, die die betreffenden Menschen brauchen, bevor sie sich zu einem solchen Schritt entscheiden, gut wäre, wenn wir eine klare gesetzliche Regelung zum Whistleblowerschutz hätten und nicht auf eine sehr diverse, teilweise widersprüchliche und unklare Rechtsprechung verweisen müssten? Aufgabe dieses Hauses ist es doch, Gesetze für Bereiche zu machen, wo dies dringend notwendig ist.
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie vorgeben, dass die betreffenden Personen einen besonderen Schutz genießen müssen und dieser Schutz rechtssicher sein muss; das ist überhaupt keine Frage.
Ich habe aber auch ausgeführt, dass man zunächst einmal die geltende Rechtslage prüfen muss, bevor man neue Gesetze erlässt. Da bin ich noch in meinen Ausführungen, und ich komme noch zu weiteren Punkten. Wenn man das alles vollumfänglich beurteilt, muss man schon zu dem Ergebnis kommen, dass wir hier in Deutschland einen entsprechenden rechtssicheren Schutz haben. Die Besonderheit liegt natürlich darin, dass wir immer den Einzelfall bewerten müssen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist immer so!)
Etwas anderes enthalten auch Ihre Gesetzesvorschläge nicht. Von daher beurteilen wir die Situation eigentlich ähnlich, sodass meiner Meinung nach an dieser Stelle kein Handlungsbedarf besteht. Das will ich jetzt weiter ausführen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich schloss seinerseits an der Stelle, dass wir auf die allgemeinen Begrifflichkeiten und die auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe hingewiesen haben. Wie ich gerade schon erwähnt habe, führen diese allgemeinen und auslegungsbedürftigen Rechtsbestimmungen dazu, dass wir immer eine Entscheidung im Einzelfall herbeiführen müssen. Im Streitfall liegt es dann natürlich bei den Gerichten, dies zu entscheiden.
Daher ist festzustellen, dass die hier vorgelegten umfangreichen Textvorschläge zum einen bestimmt nicht zu mehr Rechtssicherheit führen, als heute schon besteht, und zum anderen eine Einzelfallentscheidung der Gerichte auch nicht entbehrlich macht. Gerade diese Einzelfallentscheidung ist erforderlich, da die Sachverhalte in aller Regel komplex und äußerst differenziert zu beurteilen sind. Eine umfangreiche Abwägung aller Interessen ist somit unumgänglich. Diese ist von den Gerichten vorzunehmen. Das sieht unser Rechtssystem nun einmal so vor.
Dabei ist selbstverständlich nicht zu verhehlen, dass derartige Verfahren langwierig sind und zuweilen die Beteiligten sehr belasten. Nur werden Sie diese Verfahren nicht durch neue umfangreiche gesetzliche Regelungen verkürzen können.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Versuchen Sie es doch einmal!)
Um nun dem Eindruck entgegenzutreten, dass es mit § 612 a BGB nur eine gesetzliche Regelung zum Schutz von Hinweisgebern gibt, seien nachfolgend weitere Gesetze genannt, die ebenfalls Schutzvorschriften für Hinweisgeber enthalten. So dient zum einen natürlich das Kündigungsschutzgesetz, also ein weiteres allgemeines Gesetz, dem Schutz von Hinweisgebern. Wir haben aber auch spezielle Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz, im Arbeitsschutzgesetz, sogar im Bundes-Immissionsschutzgesetz und im BGB. Darüber hinaus darf in diesem Zusammenhang auch nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts, aber auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vergessen werden
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben das aber gefordert!)
Auch für Hinweisgeber, die Verschwiegenheitspflichten unterliegen, gibt es gesetzliche Schutzregelungen. So ist an dieser Stelle insbesondere auf die Regelungen des Bundesbeamtengesetzes und des Beamtenstatusgesetzes hinzuweisen. Zu erwähnen ist ebenfalls, dass viele Betriebe freiwillig Möglichkeiten zur Meldung von Missständen eingeführt haben, zum Beispiel durch das Berufen von Ombudsleuten oder durch Betriebsvereinbarungen zwischen den Sozialpartnern, die auf die jeweiligen besonderen Betriebssituationen zugeschnitten sind.
Auch internationale Vereinbarungen begründen, wie schon erwähnt, in meinen Augen keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Sowohl die Beschlüsse der G-20-Staaten als auch des Europarates beinhalten keine Pflicht, ein spezielles Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern zu erlassen. Mit den geschilderten Rechtsvorschriften wird die Empfehlung der genannten Gremien – und eine solche ist es –, den Schutz von Hinweisgebern zu gewährleisten, erfüllt.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber anderer Meinung!)
Dies wurde auch in der öffentlichen Anhörung zu diesem Thema am 5. März 2012 bestätigt. Bereits damals waren die Vorschläge der Opposition, die den jetzigen Vorschlägen sehr ähneln, nicht geeignet, den Schutz von Hinweisgebern in der notwendigen Weise zu verbessern. Die bisherige Rechtslage gewährleistet den Schutz von Hinweisgebern, so die einhellige Meinung. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Handlungsbedarf besteht derzeit damit nicht.
Die Schutzwürdigkeit und der Respekt vor den Hinweisgebern gebietet es jedoch, die Entwicklung der Schutzvorschriften durch die Rechtsprechung aufmerksam zu beobachten und gesetzgeberisch dann korrigierend tätig zu werden, sobald Handlungsbedarf angezeigt ist.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist doch angezeigt!)
Da dies derzeit nicht der Fall ist, werden wir diese Vorlagen ablehnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz formalistisch!)