Tagesordnungspunkt 27:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)
Drucksache 18/4062
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
Drucksache 18/4966
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
– zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE.
Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen
– zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen – Tarifeinheit nicht gesetzlich regeln
Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966
Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie gerade gemerkt haben, wird dieses Thema natürlich auch in unserer Fraktion intensiv diskutiert; auch dort gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen. Die Diskussion ist insgesamt sehr intensiv; schließlich haben wir es mit einem sehr wichtigen Thema zu tun.
Ich möchte kurz erwähnen, dass mein Vorredner nicht die Sprache des Kollegen der Linken, des Herrn Ernst, übernommen hat, sondern er hat lediglich zitiert und entsprechende Widersprüche in seinen Diskussionsbeiträgen aufgezeigt. Ich denke, das geschah in sehr beeindruckender Weise, und es war auch gut, dass das in diesem Haus einmal klargestellt wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Diskussion ist schon weit fortgeschritten. Ich möchte sie auf einige Kernpunkte reduzieren. Betonen möchte ich dabei insbesondere, dass es bei diesem Gesetz darum geht, die Solidarität der Belegschaft in den Betrieben zu stärken und die Befriedungsfunktion und die Ordnungsfunktion, die der Grundsatz der Tarifeinheit mit sich bringen soll, auch zu erfüllen. Die klare Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht, heißt eigentlich nur: Einigt euch.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch einfach nicht!)
Das ermöglicht dieses Gesetz auch.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür braucht man kein Gesetz!)
Es kann nicht zu viel verlangt sein, dass man bei Kollisionen einen entsprechenden Einigungsaufruf formuliert.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Resolution!)
Dieser Aufruf darf auch präventiv erfolgen.
Zu betonen ist ja auch, dass die Auflösung dieser Tarifkollisionen durch den Grundsatz der Tarifeinheit eben nur subsidiär gilt. Dadurch wird wieder deutlich, dass den Möglichkeiten Raum gelassen wird, die Kollisionen untereinander zu regeln. Sie wissen alle, was im Gesetz steht: dass man selber Zuständigkeiten abstimmen kann, dass man auch Tarifgemeinschaften bilden kann, dass unterschiedliche Gewerkschaften mit dem Arbeitgeber gleiche Tarifverträge abschließen.All diese Möglichkeiten gibt es, und sie werden natürlich heute schon genutzt; das ist richtig. Aber auch das zeigt, dass die Ansätze, die das Gesetz enthält, richtig sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Es muss auch festgehalten werden, dass die letztliche Überprüfung, ob ein Streik verhältnismäßig ist oder nicht, weiterhin den Gerichten obliegt. Diese werden wie bisher sehr sorgfältig abwägen und dabei alle Umstände berücksichtigen.
Lassen Sie mich kurz auf einige Bedenken eingehen, die hier geäußert wurden:
Ein Punkt war die Befürchtung, das Gesetz werde die bisherigen Kooperationen infrage stellen. In meinen Augen ist eher das Gegenteil der Fall: Kooperationen werden weiterhin möglich sein. Meine Vorhersage ist, dass es die Gewerkschaften eher nicht auf eine Auszählung ihrer Mitglieder in den Betrieben ankommen lassen werden, sondern dass sie sich im Konfliktfall zusammensetzen und einigen werden. Das ist genau das, was wir möchten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wenn es allerdings – auch das gebe ich zu bedenken – tatsächlich einmal dazu kommen sollte, dass eine bisherige Kooperation auf der Grundlage dieses Gesetzes aufgekündigt wird, dann muss man sich schon einmal die Frage stellen, inwieweit die bisherige Zusammenarbeit aufrichtig war.
Ein weiterer Punkt war die Sorge, dass es zu einem Kampf der Gewerkschaften um Mitglieder kommen wird. Ich habe eigentlich immer gedacht, die Gewerkschaften wären über viele Mitglieder froh. Wenn das Gesetz tatsächlich dazu aufrufen würde, neue Mitglieder zu werben, müsste das doch eigentlich im Interesse der Gewerkschaften sein.
Ein anderer Punkt war die Befürchtung, dass die Spartengewerkschaften untergehen könnten. Diese Problematik sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Alle Spartengewerkschaften sind vor 2010 gegründet worden, also bei Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit, und sie bestehen bis heute. Deswegen kann der Grundsatz der Tarifeinheit sicherlich nicht dazu führen, dass Spartengewerkschaften untergehen.
Ich möchte noch einiges zur Verfassungsmäßigkeit sagen, da auch dies angesprochen worden ist. Ja, die Tarifautonomie ist in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes geregelt. Allerdings gibt es keinen Schrankenvorbehalt, zumindest nicht nach der Formulierung des Grundgesetzes. Man muss jedoch auch festhalten, dass kein Grundrecht schrankenlos ist und dass jedes Grundrecht immer im Lichte der anderen Grundrechte ausgelegt werden muss. Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes in der Vergangenheit gemacht. Ich darf aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995 zitieren:
Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es die Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender Interessen zum Gegenstand hat.
Das heißt, das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des Grundrechts nach Artikel 9 Absatz 3 ins Aufgabenbuch geschrieben. Hierauf haben auch mehrere Sachverständige in der Anhörung hingewiesen.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, Herr Kollege. – Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte erkennbar nicht folgen, wohl aber auf die namentliche Abstimmung warten, Frau Kollegin Künast und andere, bitten, die Gespräche am Rande des Plenums fortzusetzen, aber nicht demonstrativ mittendrin? Das, finde ich, geht ein bisschen zu weit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Herr Kollege Oellers.
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ich darf das Bundesverfassungsgericht insoweit weiterhin anführen, als eben diese Ausgestaltung im Lichte und unter Berücksichtigung des Gemeinwohls und der Wiederherstellung gestörter Paritäten erfolgen kann. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig geschrieben, dass eine Ausgestaltung des Artikels 9 Absatz 3 des Grundgesetzes durchaus möglich ist.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Eingriff, keine Ausgestaltung!)
Dass es natürlich in der Frage der Verfassungsmäßigkeit unterschiedliche Ansichten gibt, haben wir nicht nur heute erlebt, sondern das haben wir auch in der öffentlichen Anhörung erlebt. Aber ich möchte auch betonen, dass es in der öffentlichen Anhörung vehemente Befürworter dieses Gesetzes gab. Das soll hier nicht unterschlagen werden.
Ich möchte zum Abschluss kurz erwähnen, dass der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes seitens der verschiedenen Ressorts, also auch des BMAS, und des Bundesrates zugestimmt worden ist. Im Ergebnis verabschieden wir heute, denke ich, kein verfassungswidriges Gesetz. Ich bitte daher ebenfalls um Zustimmung.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)