Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 14:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jens Beeck, Matthias Seestern-Pauly, Michael Theurer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr Teilhabe im Wahlrecht Drucksache 19/317
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Gökay Akbulut, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht Drucksache 19/4568
– Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Drucksache 19/8177
– ZP 14 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Für die Einführung eines inklusiven Wahlrechts Drucksache 19/8261
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. – Herr Kollege Oellers, bitte.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute unterschiedliche Vorlagen aus unterschiedlichen Fraktionen zum Thema Wahlrechtsausschlüsse. Im Kern ist man sich in allen Vorlagen darüber einig, dass die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nummern 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes aufgehoben werden sollen. Es geht hier um den Ausschluss von Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, und Menschen, die wegen einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Straftat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, von Bundestagswahlen und Europawahlen. – An dieser Stelle hören allerdings die Gemeinsamkeiten auf.
Übrigens befassen sich der Gesetzentwurf der FDP und der Gesetzentwurf der Grünen und Linken nicht mit Themen wie „Selbstbestimmung der Wahl“, „Vermeidung von Missbrauch im Rahmen des Wahlvorgangs“ und auch nicht mit verfahrensrechtlichen Maßnahmen zur Sicherung der freien, demokratischen Wahl.
(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollen Sie jetzt eine Wahlfähigkeitsprüfung, oder was? Da bin ich ja gespannt!)
Das sind aber genau die Punkte, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 29. Januar 2019 angesprochen hat und dem Gesetzgeber ins Aufgabenbuch geschrieben hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen dieses Beschlusses gesagt: § 13 Nummer 2 des Bundeswahlgesetzes ist verfassungswidrig, § 13 Nummer 3 ist sogar nichtig. Aber das Bundesverfassungsgericht hat auch festgestellt, dass es durchaus Wahlausschlüsse geben kann, nämlich dann, wenn der betroffenen Person die erforderliche Einsichts- und Handlungsfähigkeit fehle und dem selbst durch Assistenzleistungen nicht abgeholfen werden könne. In diesem Fall läge also kein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes vor. So kann man es im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lesen.
as Bundesverfassungsgericht hat nun dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, zum einen die Nummern 2 und 3 des § 13 zu streichen und zum anderen die Integrität der Wahl, die Selbstbestimmung der Wahl und vor allen Dingen auch den Schutz vor Missbrauch zu gewährleisten. Hierauf finden die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen keine Antwort.
Um diese Fragen aufzugreifen, sehen wir im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD vor, Konkretisierungen im Wahlrecht vorzunehmen, insbesondere was die Assistenzleistungen betrifft: was die Voraussetzungen dafür sind, dass Assistenzen erfolgen können, müssen oder dürfen. Darüber hinaus werden wir Konkretisierungen im Strafrecht vornehmen, damit Rechtssicherheit und -klarheit darüber besteht, was wirklich erlaubt ist und was nicht.
Warum ist das so wichtig? Es ist so wichtig, weil wir beim Thema der Assistenzleistungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Wahlrechts auch darauf achten müssen, dass wir die Belange und Interessen der Menschen berücksichtigen, die gewährleisten, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung ihr Wahlrecht ausüben können. Auch die Betreuer brauchen Rechtssicherheit. Ich betone ausdrücklich, dass ich grundsätzlich erst mal von der Redlichkeit eines jeden Betreuers ausgehe; das muss erst mal der Maßstab sein. Weil das der Maßstab ist, müssen wir den Betreuern einen entsprechenden rechtssicheren Rahmen bieten. Ansonsten drohen den Betreuern strafrechtliche und auch berufsrechtliche Konsequenzen.
(Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie stehen ja voll dahinter, Herr Oellers! Das hört man richtig raus!)
Deswegen haben wir von unserer Seite aus vorgeschlagen, einen Zwischenschritt einzubauen
(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich dachte, die Wahlfähigkeitsprüfung ist vom Tisch!)
– das wäre vielleicht ganz gut, aber es kommt jetzt nicht zur Umsetzung -, nämlich vorzusehen, dass ein Betreuungsgericht im konkreten Fall anlassbezogen und nur auf Antrag prüfen kann, ob eon Wahlrecht ausgeübt werden kann. Das war die Idee, die wir hatten.
(Burkhard Lischka (SPD): Hatten! Betonung auf „hatten“!- Unruhe beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Man sollte vielleicht erst mal zuhören. – Gerade vor dem Hintergrund, dass die strafrechtliche Keule nun wirklich eine sehr harte Keule ist, die insbesondere berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, wäre es sinnvoll gewesen, diesen Zwischenschritt einzuführen. Es kommt nun nicht dazu. Ich hoffe, dass die Maßnahmen, die wir im Rahmen des Wahlrechts und des Strafrechts konkretisieren werden, entsprechend ausreichen, um für alle Seiten – ich betone: für alle Seiten – Rechtssicherheit zu schaffen.
(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist der Ansatz der Koalition?)
Warum ist eine solche Rechtssicherheit notwendig? Sie ist deswegen notwendig, weil man auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur letzten Landtagswahl in Niedersachsen heranziehen muss. Die Wahl wurde angefochten. Jemand sagte: Ich beanstande, dass ein 16-Jähriger wählen kann. – Die Frage, ob er wählen kann oder nicht, lasse ich mal außen vor. Entscheidend ist für mich der Sachverhalt. Es war nicht so, dass jemand, der kein Wahlrecht hatte, gesagt hat: „Ich möchte das Wahlrecht haben“; nein, ein Dritter sagte in diesem Verfahren: Ich bezweifle, dass ein anderer ein Wahlrecht hat; das lasse ich gerichtlich überprüfen.
(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich dachte, gestern hätten Sie das noch abgeräumt! – Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wovor haben Sie eigentlich so Angst, Herr Oellers? Ich verstehe das einfach nicht!)
Das heißt, diese Fälle gibt es auch, und weil das so ist, müssen alle Betroffenen und Beteiligten in diesem Verfahren geschützt werden.
Ich will noch ein Wort zur anstehenden Europawahl sagen. Es wird natürlich bedauert – das wird sicherlich gleich mehrfach erwähnt werden -, dass diese Entscheidungen nicht zur Europawahl umgesetzt werden können. Ich hätte mir, ehrlich gesagt, auch gewünscht, dass wir das Thema schon längst abgeräumt hätten; aber wir haben das im Verfahren nicht schneller hinbekommen.
(Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben es ja bis jetzt nicht hinbekommen! Ein Gesetzentwurf von Ihnen liegt jedenfalls nicht vor!)
Man muss allerdings auch berücksichtigen, dass die Venedig-Kommission, die vom Europarat eingesetzt wurde, rät, das Wahlrecht ein Jahr vor einer Wahl nicht mehr zu ändern. Ich denke, dem muss man im Sinne der Rechtssicherheit Rechnung tragen.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Oellers.