Heinsberger Zeitung vom 12.09.2021
Text und Bild: Dettmar Fischer
HÜCKELHOVEN Hückelhovener Sport- und Bildungsverein AS-KA-DO diskutiert mit Jugendlichen und Kandidaten für den Bundestag
„Darf Politik zur Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen in die Privatsphäre und Freiheit des Einzelnen eingreifen?“ Diese Fragestellung beantworteten 27 Jugendliche mit einem klaren „Ja“, acht mit einem deutlichen „Nein“ und vier positionierten sich im Mittelfeld, dem der „Enthaltung“.
Fünf Bundestagskandidaten aus dem Kreis Heinsberg taten sich bei der Positionsbestimmung zumindest teilweise etwas schwerer. Das gemeinsame Forum für die Jugendlichen und die Politiker bot das erste Meinungsparlament des bereits mehrfach für seine Projekte ausgezeichneten Hückelhovener Sport- und Bildungsvereins AS-KA-DO. Das aktuelle Projekt heißt „Young Minds– Politische Meinungsbildung und Partizipation“.
Das Landesministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration unterstützt dieses Projekt mit 30.000 Euro im Rahmen der Förderung von Migrantenselbstorganisationen. Kaan Cevahir, stellvertretender Vorsitzender von AS-KA-DO, leitet dieses Projekt, in dessen Mittelpunkt die politische Bildung junger Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte im Alter von 16 bis 34 Jahren steht. Neben den Meinungsparlamenten werden Vorträge und digitale Informationsformate angeboten.
Kaan Cevahir verwies in seiner Begrüßung zum ersten Meinungsparlament, das in der Aula Hückelhoven stattfand, darauf, dass politische Diskurse trotz ihrer Relevanz und Aktualitätsbezogenheit nicht selten an jungen Menschen vorbeiziehen, was gewiss Auswirkungen auf ihre Meinungsbildung zu politischen Fragestellungen und ihr Verhältnis zur Politik habe. Für dieses innovative Format politischer Bildung hatte Cevahir ein Projektteam junger, engagierter Menschen gewinnen können.
Dieses Team hatte das Meinungsparlament nicht nur vorbereitet, sondern moderierte es auch souverän. Neele Windelen und Matthias Schächtel schlüpften in die Rolle des Moderatorenteams und zogen die gut einstündige Diskussionsrunde charmant aber bestimmt durch. Mit Wilfried Oellers (CDU), Dignanllely Meurer (Grüne), Alexander Dorner (FDP), Rüdiger Birmann (Linke) und Norbert Spinrath (SPD) diskutierten die Jugendlichen, die sich zu Beginn der Veranstaltung in drei separate Blocks „Ja“, „Nein“, „Enthaltung“, gesetzt hatten und damit ihre Position zur Ausgangsfrage „Darf Politik zur Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen in die Privatsphäre und Freiheit des Einzelnen eingreifen?“ deutlich gemacht hatten.
Jeweils nach den fünfminütigen Statements der Bundestagskandidaten und einer Nachfragerunde hatten die Jugendliche 30 Sekunden Zeit, ihre Position zu verändern. Die meisten blieben allerdings dort sitzen, wo sie sich von Anfang an niedergelassen hatten, die große Mehrheit im Block „Ja, die Politik darf eingreifen“.
Am nächsten dran an der Mehrheit war Dignanllely Meurer von den Grünen: „Ich sage ganz klar Ja!“ Die Politik dürfe nicht nur, sie müsse sogar in die Freiheit des Einzelnen eingreifen, da ansonsten der Einzelne die Zukunft der Masse gefährde. Mangelnde Klimaschutzmaßnahmen würden zukünftige Generationen belasten. Auch bei der Neugestaltung der Mobilität werde es Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen geben. Wie Meurer zählt Alexander Dorner (FDP) zur jüngeren Generation der Kandidaten. Dorner zitierte mehrfach Lord Acton mit dem Satz „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“ und vertrat die Ansicht, dass der Staat die Freiheitsrechte der Menschen keineswegs einschränken dürfe, um der Klimakrise Herr zu werden. Diese sei im Gegensatz zur Corona-Pandemie auch mit gemäßigten Maßnahmen in den Griff zu kriegen. Rüdiger Birmann (Linke) argumentierte, man dürfe den Klimaschutz nicht dem Markt überlassen. Reiche müssten in die soziale Verantwortung genommen werden. Wilfried Oellers (CDU) setzt auf Anreize statt Verbote.
Diese könnten bei den Bürgern ein Umdenken herbeiführen und den gesellschaftlichen Rückhalt der Maßnahmen stärken. Die 27 Jugendlichen auf der Ja-Position stimmte die Argumentation des einzigen aktuellen Bundestagsabgeordneten im Forum allerdings nicht um. Norbert Spinrath (SPD) meinte: „Anreize habe ich auch auf dem Zettel stehen.“
Das Ziel Klimaneutralität sei nicht nur eine große Aufgabe für die Politik und die Wirtschaft, sondern fordere alle Bürger. Und auf die Nachfrage von Moderatorin Neele Windelen, die schon Wilfried Oellers zu einer klaren Aussage gedrängt hatte und nun auch von Spinrath ein klares Ja oder Nein hören wollte, ob Politik in die Freiheit des Einzelnen eingreifen dürfe, meinte Norbert Spinrath, so könne man das nicht sagen, es sei eher ein „Sowohl als auch“.
Spinrath fügte dann aber noch hinzu: „Ich befürchte, dass wir Verbote haben müssen.“
Als Dankeschön für die Teilnahme an diesem interessanten Abend bot Kaan Cevahir allen Beteiligten ein Kampfsport-Probetraining bei AS-KA-DO an. Ein Kompliment gebührt den Jugendlichen, die sich gut informiert zeigten und auf Augenhöhe mit den Politikern über ihre Zukunft diskutierten.
Vielleicht nehmen die Politiker, wo auch immer sie demnächst Gesellschaft mitgestalten, die Botschaft mit, die eine Jugendliche sicherlich für viele Altersgenossen zum Ausdruck brachte: Jetzt handeln und nicht weiter abwarten.