Heinsberger Zeitung vom 17.09.2021
Text: Daniel Gerhards
Foto: Arne Dedert/DPA
KREIS HEINSBERG Der Wahlkampf geht nun noch einmal in eine heiße Phase. Das letzte Trommeln der Kandidaten, das letzte Grübeln der Wähler – die Kandidaten und Parteien wollen auf der Zielgeraden noch einmal alles in die Waagschale werfen. Ein Blick auf die Chancen, die Ausgangslage und den Wahlkampf.
Die Chancen: Klarer Favorit auf das Direktmandat im Kreis Heinsberg ist Wilfried Oellers (CDU). Seine Partei steht im Kreis unangefochten an der Spitze des Parteienspektrums. Allerdings hatte Oellers bei der vergangenen Wahl Verluste hinnehmen müssen. Oellers will sich für sein Wahlziel nicht auf eine Zahl festlegen. „Ich will das bestmögliche Ergebnis rausholen“, sagt er. Über allem steht für ihn der erneute Gewinn des Direktmandates. „Alles andere wäre nicht unser Anspruch“, sagt Oellers. Er steht zwar auf Platz 47 der CDU-Landesliste, ob die Liste im Falle einer Niederlage für Oellers ziehen würde, ist allerdings fraglich.
Norbert Spinrath (SPD) ist wie schon bei den vergangenen Bundestagswahlen seit 2005 erster Herausforderer des CDU-Kandidaten. Und er geht mit dem Rückenwind der bundesweiten Umfragen in den Wahlkampfendspurt. Sollte Oellers sich erwartungsgemäß durchsetzen, muss Spinrath hoffen, über die Landesliste seiner Partei in den Bundestag einzuziehen. Seinen guten Listenplatz 23 musste er jedoch an SPD-Promi Karl Lauterbach abgeben. Spinrath rangiert nun auf Platz 35.
Trotz des Rückenwinds aus dem Bund wäre es eine Sensation, wenn Spinrath den Wahlkreis doch direkt gewinnen würde. Allerdings sieht das Markt- und Sozialforschungsinstitut Insa, das die Sonntagsfrage auf die Erststimmen in den Wahlkreisen umrechnet, den Kreis Heinsberg „rot“. Ob diese Projektion tatsächlich das Meinungsbild der Wähler im Kreis Heinsberg widerspiegelt, wird erst der Wahlabend zeigen können. Andere Prognosen gehen hingegen davon aus, dass der Kreis „schwarz“ bleibt. Für die Kandidaten gilt also: Jede Stimme zählt.
Für Dignanllely Meurer (Grüne) heißt es am Wahlabend „alles oder nichts“. Denn sie ist nicht über einen Landeslistenplatz abgesichert. Dass sie den Wahlkreis gewinnt, erscheint aktuell eher unwahrscheinlich. Genauso ist Alexander Dorner (FDP) nicht über die Landesliste seiner Partei abgesichert. Als die FDP-Liste aufgestellt worden war, seien die Umfragewerte der Partei noch schlechter gewesen, so dass er sich nicht intensiv um einen hinteren Listenplatz bemüht habe. Das hätte aus damaliger Sicht wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. „Das ist für mich ein bisschen blöd gelaufen“, sagt er jetzt. Auch für Hans-Peter Weiland (Freie Wähler), Rüdiger Birmann (Linke), Hermann Navel (AfD) und Mark Benecke (Die Partei) wird es am Ende wohl nur um Achtungserfolge gehen. Gleiches gilt für Michael Aggelidis (die Basis), dessen Partei ihre Wurzeln in der „Querdenken“-Bewegung hat.
Die Bundestagswahl 2017: Bei der vergangenen Bundestagswahl setzte sich Wilfried Oellers trotz schmerzhafter Verluste gegenüber der vorangegangenen Wahl mit 45,6 Prozent der Erststimmen deutlich durch. Einzige ernsthafte Konkurrenz war schon damals Norbert Spinrath, der mit 28 Prozent der Erststimmen allerdings deutlich hinter Oellers zurückblieb. Spinrath flog aus dem Bundestag heraus, sein Landeslistenplatz reichte nicht für einen erneuten Einzug ins Parlament. Die Bundestagswahl 2017 war auch für die CDU im Kreis Heinsberg mit einer Enttäuschung verbunden: Sie holte weniger als 40 Prozent der Zweitstimmen (39,5). Die SPD erhielt damals 25,9 Prozent.
Die Grünen lagen im Jahr 2017 bei 5,2 Prozent der Zweitstimmen, für sie deuten sich deutliche Zugewinne an. Die FDP schaffte damals im Kreis Heinsberg 11,4 Prozent, die Linke 5,6 Prozent und die AfD landete bei 8,7 Prozent der Zweitstimmen. Alle anderen Parteien schnitten unter ferner liefen ab. Die Wahlbeteiligung lag im Jahr 2017 im Kreis Heinsberg im Übrigen bei 74,9 Prozent.
Ein anderer Wahlkampf: FDP-Kandidat Alexander Dorner hat sich bewusst für einen „ressourcenschonenden Wahlkampf“ entschieden. Plakate und Flyer habe er auf ein absolutes Minimum reduziert. Neben einigen Besuchen bei Unternehmen und Veranstaltungen hat Dorner den Wahlkampf jedoch stark ins Digitale verlagert. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Facebook und Instagram.
Digital will Wilfried Oellers in den kommenden Tagen noch einmal nachlegen. Bislang habe er vor allem auf Open-Air-Formate gesetzt, bei denen der coronakonforme Abstand gut habe eingehalten werden können. Das gelte auch für den Haustürwahlkampf. Oellers sagt, dass ihm der direkte Kontakt zum Wähler besonders wichtig gewesen sei.
Für Norbert Spinrath war der Wahlkampf aus einem erfreulichen Grund besonders. Ihm sei als SPD-Mann eine äußerst positive Stimmung entgegengeschlagen. „Die Leute waren sehr zugewandt, interessiert und uns wohlgesonnen“, sagt Spinrath. Das sei bei der Kommunalwahl noch ganz anders gewesen. Ansonsten lief der Wahlkampf von Spinrath „outdoor“ – auch eine Folge von Corona. Dabei habe er oft Pech mit dem Wetter gehabt, sagt Spinrath, der Euphorie in seiner Partei habe das aber nicht geschadet.
Rüdiger Birmann (Linke) findet, dass Corona es den Kandidaten viel schwerer mache, ihre Inhalte an den Wähler zu bringen. Die Leute seien im Allgemeinen viel vorsichtiger und blieben eher auf Abstand. Die Grünen-Kandidatin Dignanllely Meurer sagt, dass sich die politischen Inhalte ihrer Partei online sehr gut transportieren ließen. „Auf der Strecke geblieben ist die persönliche Präsentation als Mensch“, sagt sie. Masken und Abstand machten das schwierig. Und auch Online-Veranstaltungen, zum Beispiel über das Video-Konferenz-Tool Zoom, lieferten zuweilen ein verzerrtes Bild von den Kandidatinnen und Kandidaten.
Die Wahlberechtigten: Insgesamt gibt es im Kreis Heinsberg knapp 192.500 Wahlberechtigte, darunter sind etwas mehr 98.250 Frauen und etwas mehr als 94.200 Männer. Die meisten Stimmen sind in Erkelenz zu holen, dort gibt es 34.764 Wahlberechtigte, gefolgt von Heinsberg (31.405), Hückelhoven (28.881) und Wegberg (22.569). Die wenigsten Stimmberechtigten leben im Selfkant (5581), etwas größer ist die Zahl in Waldfeucht (6696) und Gangelt (9090). Die Wähler sind kreisweit auf 240 Stimmbezirke – inklusive Briefwahl – aufgeteilt. Sie haben die Möglichkeit, ihr Kreuzchen in einem von 189 Wahllokalen zu machen. Oder eben per Briefwahl.
Die Briefwahl: Der Trend geht klar zur Briefwahl. Das ist durch die Corona-Pandemie noch einmal beschleunigt worden. Bereits Anfang dieses Monats sind nach Angaben des Kreises Heinsberg kreisweit mehr als 50.000 Briefwahlunterlagen ausgegeben worden. Das entspricht mehr als einem Viertel der 192.500 Wahlberechtigten. Und die Zahl der Briefwähler dürfte mittlerweile noch deutlich höher sein. In Heinsberg sind mit Stand von dieser Woche bereits knapp 9400 Briefwahlunterlagen ausgegeben worden. Das entspricht nicht ganz einem Drittel der 31.405 Wahlberechtigten in Heinsberg, die Zahl ist dennoch beträchtlich. Weil mit vielen Briefwählern zu rechnen war, hat die Stadt Heinsberg die Zahl der Briefwahlbezirke von acht auf zehn erhöht. In Hückelhoven gibt es Stand Mittwochnachmittag bereits 8000 Briefwähler, das sind 2000 mehr als bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr insgesamt. In Hückelhoven sind ebenfalls zwei zusätzliche Briefwahlvorstände einberufen worden, die die Stimmen auszählen. Viele Wähler haben sich also längst festgelegt.
Der Promi-Faktor: Wahlkampf bedeutet für die Schwergewichte der Bundes- und Landesparteien auch immer eine Rundreise durch die vielen Wahlkreise im Land. NRW-Innenminister Herbert Reul sprach auf Schloss Leerodt in Geilenkirchen bei seiner CDU, und Ralph Brinkhaus, der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, besuchte das Stadion des FC Wegberg-Beeck. Thomas Kutschaty, NRW-Landesvorsitzender der SPD, besuchte die AWO in Heinsberg, und Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, schaute sich kurz nach der Flut in Geilenkirchen um. In dieser Woche stattete die Grünen-Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann der Lebenshilfe Heinsberg einen Besuch ab. Am Samstag erwarten die Grünen ihre NRW-Vorsitzende Mona Neubaur in Geilenkirchen. Am kommenden Dienstag folgt noch ein politischer A-Promi: Die NRW-Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht, kommt am Nachmittag auf den Heinsberger Marktplatz.
Der satirische Blick: Dass Dr. Mark Benecke, der Kriminalbiologe und Landesvorsitzende der Satire-Partei „Die Partei“, im Kreis Heinsberg antritt, hat den Wahlkampf hier zumindest eine Spur bunter gemacht. Er fordert den Anschluss der Selfkantbahn an das Schienennetz der Deutschen Bahn, am besten mit Direktverbindung nach Berlin. Und den Selfkant will er verkaufen. An Holland, wenn die nicht wollen, an Belgien. Egal, Hauptsache, die Selfkantbahn bleibt in Betrieb. Benecke wartete zwar mit skurrilen Forderungen auf, satirische Aktionen im Kreis stellte er jedoch nicht auf die Beine.