Rheinische Post , 17.10.2022
Text und Foto: Stephan Vallata
Hückelhoven Ende dieses Jahres soll das Bundesförderprogramm auslaufen – trotz des dringendes Bedarfes. Alleine in Hückelhoven gibt es drei Einrichtungen an vier Standorten, die auf die Fördermittel angewiesen sind. Die Mitarbeiter sind entsetzt.
Warum ist die Fähigkeit zur Kommunikation so bedeutsam, gerade für die kleinsten Mitglieder dieser Gesellschaft? „Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ – Ein Förderprogramm des Bundes enthält die Antwort auf dieser Frage bereits in seinem Titel. Durch Sprache erschließen wir uns die Welt, treten mit unserem Gegenüber in Kontakt und eignen uns Wissen an. Seit 2016 fördert das Familienministerium alltagsintegrierte sprachliche Bildung als festen Bestandteil in der Kindertagesbetreuung. Mittlerweile profitiert davon deutschlandweit jede achte Kita. Im Kreis Heinsberg sind es sechs Einrichtungen (Stand Juli), davon befinden sich drei Einrichtungen mit vier Standorten in Hückelhoven. Insgesamt konnten dort vier zusätzliche halbe pädagogische Fachkraftstellen installiert werden. Zum Jahresende nun soll die Förderung auslaufen. Die Mitarbeiter sind entsetzt über diese Entscheidung.
„Untersuchungen zeigen, dass in Kitas im Allgemeinen zu wenig gesprochen wird“, sagt Nicole Dieck-Prüter, Sprachfachkraft des Familienzentrums Traumland, das bereits seit mehr als zehn Jahren beachtliche dokumentierte Erfolge durch eine gezielte Förderung erzielen konnte. „Gerade nicht deutschsprachige Kinder brauchen eine gute Sprachvorbildung.“ In der ehemaligen Zechenstadt haben aus der historischen Entwicklung heraus viele Einwohner einen Migrationshintergrund. An den beiden Standorten der Villa Regenbogen in Hilfarth betreffe dies mehr als 50 Prozent der Kinder, sagt Kita-Leiterin Astrid Meuser. Elf verschiedene Muttersprachen sind in der Einrichtung an der Tagesordnung.
„Kein anderer Bereich hat in so kurzer Zeit so extreme Veränderungen erlebt“, nennt Meuser die sogenannte Flüchtlingskrise im Jahr 2015, aber auch eine neue Lebensrealität, in der beide Elternteile arbeiten gehen müssen, damit die Familie überleben kann. Die Förderung des Bundes mache an Kitas eine „On-Top-Qualität“ möglich – finanziell wie personell, sagt die Kita-Leiterin mit Blick auf die so dringend notwendige Sprachförderung. „Wenn wir gewusst hätten, dass die Projekte nur noch ein Jahr laufen werden, hätten wir eine Förderung vermutlich gar nicht beantragt“, sagt Peter Wiese, Leiter der Abteilung Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege im städtischen Jugendamt, mit einiger Ernüchterung. Die Villa Regenbogen und die städtische Kita Sternschnuppe in Schaufenberg erhalten die Fördermittel seit 2021, weitere sollten folgen.
Der Bundeszuschuss betrage pro halber pädagogischer Stelle 25.000 Euro im Jahr, so Peter Wiese. So umfasse die Sprachförderung also 100.000 Euro. Entlassen werden müsse allerdings niemand, betont er. Die bisherigen Sprachfachkräfte würden in den regulären Gruppendienst zurückgeführt. „Hückelhoven ist eine der wenigen Kommunen, die zusätzliche Sachmittel zur Verfügung stellt.“ Pro Projekt seien es 4000 Euro, insgesamt 16.000 Euro, die die drei Einrichtungen pro Jahr erhalten. Diese Gelder sollen auch über 2022 hinaus weiterfließen, denn: „So ein Projekt lässt sich nicht stemmen, wenn man keine Sachmittel hat.“
Beispiele haben die beiden Sprachfachkräfte Sabine Köhnen und Tabea Bihn parat: An jedem Standort gibt es einen Bücherkoffer, ein kleiner Trolley, den die Kinder unter fachkundiger Anleitung mit kindgerechter Literatur packen und mit in ihre Familien nehmen. Elternarbeit sei ein wichtiger Faktor bei der Sprachbildung, sagen die Pädagoginnen. Zudem wurden iPads mit Zubehör angeschafft, spezielle Lernsoftware und Tiptoi-Bücher für die Wortschatzförderung. Auch der Umgang mit digitalen Medien soll vermittelt werden. Neuestes Projekt ist ein Tellimero-Wochenplan, der eine Verständigung über den Tagesablauf über sprachlichen Hürden hinweg erlaubt – durch einen „sprechenden Stift“.
Wilfried Oellers (CDU), Bundestagsabgeordneter für den Kreis Heinsberg, fordert die Ampel-Koalition dazu auf, das Förderprogramm aufrecht zu erhalten: „Die Bundesregierung fährt momentan Rekordsummen an Steuereinnahmen ein. Es ist also nicht schlüssig, mit dem Hinweis auf die Finanzlage an diese wichtige Grundlage für den künftigen Lebensweg der Schwächsten und Kleinsten in unserer Gesellschaft die Axt zu legen.“ Der Verweis auf das Kita-Qualitätsgesetz, das den Ländern vier Milliarden Euro an die Hand geben soll, lasse eines außer Acht: „Dieses Gesetz ermöglicht den Ländern die Finanzierung erst ab dem Sommer 2023. Die Sprachförderstellen werden aber nur bis Ende 2022 durch die Förderprogramme finanziert.“ Es stelle sich die Frage, was die Mitarbeitenden, die auf den Förderfachstellen sitzen, ein halbes Jahr lang ohne den bisherigen Lohn machen sollen.