Position Nr. 1: Werkstattbeschäftigte gerecht entlohnen – Mitbestimmung auf Bundesebene sichern
Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe am inklusiven Arbeitsmarkt. Dazu gehören nicht nur diejenigen, die den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft haben. Sondern dazu gehören selbstverständlich auch die 310.000 Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). WfbM sind für die CDU/CSU ein enorm wichtiger Baustein im Rahmen unserer Behindertenpolitik. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Betreuung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
Nach Artikel 27 UN-BRK haben die Betroffenen das Recht, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen in einem offenen, inklusiven sowie zugänglichen Arbeitsmarkt und -umfeld. Solange es sich bei WfbM um kein alternativloses Angebot handelt, gehören für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion WfbM fest zum inklusiven Arbeitsmarkt dazu. Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes haben wir zum Beispiel mit dem Budget für Arbeit oder der Möglichkeit der Beschäftigung bei anderen Leistungsanbietern alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Werkstattbeschäftigte geschaffen. Diese Alternativen behalten wir im Blick. Aber es wird auch weiter Menschen mit Behinderungen geben, die wegen ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen oder Besonderheiten nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig werden können. Sie haben ein Recht auf einen Werkstattplatz.
Klar ist aber auch: WfbM befinden sich in einem stetigen Wandel: Dazu gehört auch das Entgeltsystem in den Werkstätten. Problem dabei ist, dass die Werkstätten in einem Spannungsverhältnis stehen: Sie sollen einerseits auf die Werkstattbeschäftigten zugeschnittene Teilhabeangebote zur Verfügung stellen und die Werkstattbeschäftigten auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereiten. Andererseits sollen sie wirtschaftlich verwertbare Arbeitsergebnisse erzielen und mit dem Erlös aus ihren Produkten Rehabilitationsleistungen finanzieren und Arbeitsentgelte auszahlen können.
Aber auch im Bereich der Mitbestimmung gibt es Herausforderungen zu bewältigen. Die Finanzierung von Werkstatträte Deutschland e.V. als bundesweiter Interessenvertretung über 2021 hinaus ist nicht gesichert. Es bedarf einer klaren gesetzlichen Grundlage für die Finanzierung.
Auf einer Werkstatträtekonferenz mit dem Titel „Werkstatt 2020 – Die Arbeitswelt für Menschen mit Behinderungen“ am 2. März 2020 hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Experten und Betroffenen neben anderen Themen über diese zukünftigen Herausforderungen diskutiert. Diese Herausforderungen möchten wir nun angehen.
I. Für eine gerechtere Entlohnung aller Beschäftigten – 100 Millionen Euro für die Werkstätten
Mit dem Gesetz zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes im Jahr 2019 haben wir das Ausbildungsgeld, das die Bundesagentur für Arbeit im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der WfbM und bei Maßnahmen anderer Leistungsanbieter nach § 60 SGB IX zahlt, von 80 auf 119 Euro deutlich erhöht. Aufgrund des § 221 Absatz 2 SGB IX steigt damit auch der Grundbetrag der Entlohnung im Arbeitsbereich entsprechend an.
Die Entlohnung der Werkstattbeschäftigten wird aus dem Arbeitsergebnis der WfbM finanziert. Bereits im Gesetzgebungsverfahren trugen die Werkstätten vor, dass das Arbeitsergebnis in vielen Werkstätten so niedrig sei, dass die Erhöhung des Grundbetrages um fast 50% sie finanziell überfordere. Das heißt, dass in diesen WfbM das Werkstattentgelt weit unter den 214 Euro monatlich liegt, die im Jahr 2017 im Bundesdurchschnitt gezahlt wurden.
Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir uns daher erfolgreich dafür eingesetzt, die an die Erhöhung des Ausbildungsgeldes gekoppelte Erhöhung des Grundbetrages auf mehrere Jahre zu strecken. Der Grundbetrag wurde so bereits zum 1. Januar 2020 von 80 Euro auf mindestens 89 Euro monatlich erhöht. In den folgenden drei Jahren (Januar 2021 bis 2023) wird der Grundbetrag mindestens um jeweils weitere zehn Euro erhöht. Ab Januar 2023 soll er 119 Euro monatlich betragen.
Mit dieser seinerzeit gefunden gesetzlichen Regelung haben wir im Deutschen Bundestag auf Initiative der Koalitionsfraktionen aber auch eine Entschließung verabschiedet, wonach das bestehende Entgeltsystem in den Werkstätten zu beleuchten und transparenter zu gestalten sei. Dabei „ist die Anerkennung und Wertschätzung von Leistung zentral. Als wesentliche Form der Anerkennung für geleistete Arbeit steht dabei das Arbeitsentgelt im Mittelpunkt.“ Aus unserer Sicht als CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht aber genau diese Anerkennung und Wertschätzung in Widerspruch zu dem Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Werkstätten, belässt man es bei der bisherigen gesetzlich verankerten Kopplung des Werkstattlohns an das Ausbildungsgeld.
Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprechen wir sprechen uns daher für folgende Lösung aus:
1. Wir möchten die Systematik der Entgeltanpassung ändern, indem zukünftig in § 221 Abs. 2 SGB IX nicht mehr der Grundbetrag der Entlohnung, sondern die Höhe des Arbeitsförderungsgeldes nach § 59 SGB IX an die Höhe des Ausbildungsgeldes gekoppelt wird.
2. Die zum 1. Januar 2020 vorgenommene Erhöhung des Grundwertes von 80 Euro auf 89 Euro soll wieder rückgängig gemacht werden. Diese Erhöhung von 9 Euro soll dafür ebenfalls auf das Arbeitsförderungsgeld erfol-gen.
3. Jeder Mensch mit Behinderung, der im Arbeitsbereich einer WfbM tätig ist, erhält monatlich 52 € Arbeitsförderungsgeld. Anders als andere Bestandteile des Werkstatteinkommens im Arbeitsbereich wird das Arbeitsförderungsgeld nicht auf einkommensabhängige Sozialleistungen angerechnet (§ 59 Absatz 2 SGB IX). Allerdings darf nach § 59 Absatz 1 Satz 3 SGB IX das Arbeitsentgelt zusammen mit dem Arbeitsförderungsgeld nicht mehr als 351 € betragen. Übersteigt das Arbeitsentgelt 299 €, wird das Arbeitsförderungsgeld auf den Differenzbetrag bis 351 € begrenzt. Damit der künftigen Veränderung des Arbeitsförderungsgeldes die Summe von 351 Euro durch das Arbeitsentgelt und das Arbeitsförderungsgeld schneller erreicht wird, möchten wir die Deckelung auf 351 Euro streichen. Ansonsten würde der neue Kopplungsmechanismus nicht ausreichend zur Geltung kommen, und die Werkstattbeschäftigten würden von der Erhöhung nicht profitieren.
4. Neben den für die Zahlung des Arbeitsförderungsgeldes zuständigen Trägern der Eingliederungshilfe werden die Kosten bislang anteilig durch den Bund getragen. Auch die durch den neuen Kopplungsmechanismus entstehenden höheren Aufwendungen für das Arbeitsförderungsgeld (geschätzte Mehrkosten 100 Mio. Euro) sollten daher zumindest anteilig aus Bundesmitteln getragen werden.
Mit dieser neuen Entgeltstruktur motivieren und fördern wir Werkstattbeschäftigte – und wir stellen die Existenz vieler Werkstätten auf eine sichere wirtschaft-liche Grundlage!
II. Interessenvertretung durch Werkstatträte stärken – Finanzierung auch auf Bundesebene sichern
Die mit der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz garantierte Mitbestimmung gilt nicht nur in der freien Wirtschaft, sie spielt auch in Werkstätten für behinderte Menschen eine wichtige Rolle.
Nach § 2 Abs. 1 Werkstättenmitwirkungsverordnung (WMVO) sind in WfbM Werkstatträte zu wählen. Nach § 39 WMVO trägt die Werkstatt die durch die Tätig-keit des Werkstattrats entstehenden Kosten. Dazu zählen auch Kosten, die durch die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach der WMVO oder durch die Interessenvertretung auf Bundes- oder Landesebene (Werkstatträte Deutschland e.V. und die entsprechenden Landesorganisationen der Werkstat-träte) entstehen.
Die durch die Erfüllung dieser Aufgabe entstehenden Kosten werden den Werk-stätten im Rahmen der Vergütungen nach § 58 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 SGB IX ersetzt. Danach erhalten die Werkstätten für die von ihnen erbrachten Leistungen im Arbeitsbereich vom zuständigen Rehabilitationsträger angemessene Vergütungen, die den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen. Die Vergütungen sollen alle für die Erfüllung der Aufgaben und der fachlichen Anforderungen der Werkstatt notwendigen Kosten berücksichtigen.
Aus der Regelung ergibt sich jedoch nicht klar genug, dass die Vergütungen auch die von den WfbM für die Tätigkeit der Werkstatträte zu tragenden Kosten mit berücksichtigen sollen. Dies führt in der Praxis dazu, dass den WfbM die entsprechenden Vergütungen von den Rehabilitationsträgern nicht erstattet werden und die Werkstätten in der Folge nicht bereit sind, die Kosten für die Interessenvertretung der Werkstatträte zu tragen. Zumindest gilt dies für die Interessenvertretung auf Bundesebene durch Werkstatträte Deutschland e.V.. Auf Landesebene bestehen vergleichbare Probleme nach unserer Kenntnis grundsätzlich nicht.
Mehrere Versuche, das Problem in Gesprächen zwischen Werkstatträte Deutschland e.V. und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zu klären, sind fehlgeschlagen. Das BMAS steht auf dem Standpunkt, dass mit der aktuellen Formulierung des §39 der WMVO eine ausreichende rechtliche Grundlage bestünde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS) hat zwar eine Zahlungsempfehlung an die Kostenträger ausgesprochen, diese gilt allerdings aufgrund der unklaren Rechtsgrundlage nur noch bis 2021. Schon jetzt klafft im Haushalt von Werkstatträte Deutschland e.V. eine Finanzierungslücke von ca. 90.000 € bis zu dem mit BAGüS, BMAS und BAG WfbM vereinbarten Haushalt (440.000 €).
Diese Finanzierungslücke muss nicht nur in diesem Jahr, sondern auch langfristig geschlossen werden. Und es bedarf einer klaren Rechtsgrundlage im SGB IX oder der WMVO, dass die nach der WMVO entstehenden und von den WfbM zu tragenden Kosten für eine Interessenvertretung durch Werkstatträte vom zuständigen Rehabilitationsträger zu vergüten sind.
Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es uns wichtig, dass die Interessenvertretung der Werkstattbeschäftigten auch auf Bundesebene eine langfristige Perspektive hat – im Interesse der Mitbestimmung, im Interesse der Werkstattbeschäftigten!
Anknüpfend an dieses Papier sind weitere Positionierungen zum Thema WfbM geplant.