Rheinische Post, 01.03.2022
Text: Christos Pasvantis
Bild: dpa/Oliver Berg
Erkelenz Infolge des russischen Krieges in der Ukraine steht auch das geplante Ende der Braunkohle im Jahr 2030 wieder zur Debatte. Auch die vermeintlich geretteten Erkelenzer Kohledörfer sind nun nicht mehr in Sicherheit.
Nach der jüngsten Eskalation im Ukraine-Krieg steht auch hinter dem geplanten deutschen Kohleausstieg 2030 wieder ein Fragezeichen. Die sicher geglaubte Rettung der Erkelenzer Braunkohledörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath könnte damit ebenfalls wieder auf der Kippe stehen.
Mehrere hochrangige Politiker und Energieexperten hatten den verfrühten Ausstieg angesichts der deutschen Abhängigkeit von russischem Erdgas in Frage gestellt. „Die grundlegende Veränderung der außen- und sicherheitspolitischen Lage in Europa erfordert ein Umdenken in der Energiepolitik“, sagte etwa NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte im ZDF am Sonntagabend, angesprochen auf einen späteren Kohleausstieg: „Ja, das ist der Preis, den auch wir zahlen für diesen Krieg von Herrn Putin.“ Lars Feld, früherer Chef der Wirtschaftsweisen und heutiger Berater von Finanzminister Christian Lindner (FDP), sagte unserer Redaktion: „Alles muss wieder auf den Tisch, sogar Atomausstieg und Kohleausstieg.“
Bei Betroffenen im Erkelenzer Land wächst damit erneut die Sorge, dass die vermeintlich gerettete Erkelenzer Stadtfläche nun doch der Braunkohle weichen muss. „Es ist derzeit ganz schwer zu sagen, wie es weitergeht“, meint auch der Kreis Heinsberger Bundestagsabgeordnete Wilfried Oellers (CDU).
Spätestens nach der historischen Bundestagssitzung am Sonntag ist für ihn klar: „Derzeit müssen alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Auch der Kohleausstieg muss auf den Prüfstand, so bedauerlich das insbesondere für das Erkelenzer Land und das Rheinische Revier ist.“
Ungeachtet dessen, welches Ende der russische Krieg nimmt, seien die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland nachhaltig geschädigt, sagt Oellers: „Unabhängig davon, ob Russland noch zu einem friedlichen Pfad zurückkehrt, ist das Vertrauen erschüttert. Dass wir uns energiewirtschaftlich unabhängig von Russland machen müssen, steht außer Frage.“
Ähnlich argumentiert auch der Heinsberger CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Schnelle: „Die aktuelle Entwicklung bringt das ganze Bild durcheinander.“ Zunächst einmal sei es das Wichtigste, die kurzfristige Gasversorgung sicherzustellen. Ein Szenario, in dem Russland den Gashahn zudreht, sei nicht mehr undenkbar. „Langfristig werden wir uns auf dem Gassektor neu orientieren müssen“, sagt Schnelle.
Im Plan, 2030 aus der Braunkohle auszusteigen, sei nicht nur der massive Ausbau erneuerbarer Energien vorgesehen, sondern auch die Versorgung mit Gaskraftwerken, die die Grundlast des Stromnetzes tragen sollen. Erst vor drei Wochen hatten NRW-Landesregierung und RWE mit einem neuen „Gigawattpakt“ Pläne zum Bau von Gaskraftwerken im Rheinischen Revier konkretisiert.
Thomas Schnelle glaubt: „Die Braunkohle wird wieder wichtiger werden. Und die Debatte, ob wir 2030 aussteigen können, wird kommen müssen. Dann müsste man genau schauen, wie viel Kohle auch in Garzweiler noch abzubauen ist und wie man das schafft, ohne die Dörfer in Mitleidenschaft zu ziehen.“
Ähnlich äußerte sich auch der FDP-Landtagsabgeordnete Stefan Lenzen: „Wenn wir im Winter nicht im Kalten sitzen wollen und sich unsere Wirtschaft nach Corona endlich erholen soll, brauchen wir eine verlässliche Energieversorgung. Dabei darf es keine Denktabus geben. Wir müssen auch über die Verschiebung des Atom- und Kohleausstiegs nachdenken.“
Lenzen forderte eine rasche Entscheidung: „Das wird vor allem unsere Heimat treffen. Wir brauchen daher schnell Klarheit.“ Der FDP-Politiker sagt, nun sei der richtige Zeitpunkt, um einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren, „denn der Klimawandel wird nicht auf einen Regimewechsel in Moskau warten“. Am Sonntag hatte sein Parteikollege Christian Lindner im Bundestag gesagt: „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien.“
Am Montag hat der Weltklimarat mit seinem neuen Bericht noch einmal auf die Dringlichkeit der Energiewende hingewiesen. Bis zu 3,6 Milliarden Menschen seien vom Klimawandel bedroht, und zwar früher als bislang angenommen. „Wir dürfen unsere Klimaziele jetzt nicht aufgeben“, sagte Wilfried Oellers. „Aber der Krieg macht es viel, viel schwieriger.“