Heinsberger Zeitung vom 30.07.2021
Text und Bild: Daniel Gerhards
WASSENBERG Warum der neue Deich in Ophoven doch nie gebaut wurde. Welche Rolle der Dammbruch in Ohe spielt. Und was den Ortsvorsteher so sehr ärgert.
Ingo Caron steht am Freitagnachmittag in Ohe. Dort, wo der Damm während des Hochwassers gebrochen war. Caron ist Ortsvorsteher von Ophoven. Und er sagt, er könne den Menschen nicht vermitteln, dass Ophoven keinen neuen Damm bekommen habe.
Ohe ist ein Ort, der so klein wie sein Name kurz ist. Aber am Freitagnachmittag läuft dort politische Prominenz auf. NRW-Ministerin Ina Scharrenbach, die auch fürs Bauen zuständig ist, der Bundestagsabgeordnete Wilfried Oellers, der Landtagsabgeordnete Thomas Schnelle und Bürgermeister Marcel Maurer. Alle haben ein CDU-Parteibuch.
Maurer führt die Gruppe zu der Stelle, wo der Deich gebrochen und schon wieder aufgebaut ist. „Jetzt müssen wir uns die Stellen ansehen, wo nachgebessert werden muss“, sagt Oellers. „Wir müssen die kleinen Bachläufe besser in den Blick nehmen. Die sind jetzt außer Rand und Band geraten“, sagt Scharrenbach. „Wir müssen die Frage stellen, ob HQ100 noch zeitgemäß ist“, sagt Maurer und meint damit wohl, dass diese Größe veraltet ist. Will heißen, den Hochwasserschutz nach dem statistischen Wert eines einhundertjährigen Hochwassers auszulegen, reicht nicht mehr aus. Man muss häufiger mit größeren Wassermassen rechnen.
Ophoven war zwar relativ spät, aber doch relativ stark vom Hochwasser betroffen. Das Wasser lief in den Ort und damit in die Keller der Häuser hinein. 100.000 Euro an Soforthilfen seien für Anwohner und Landwirte in Ophoven und Ohe ausgezahlt worden, sagt Maurer. Hinzu kommen Spendengelder, die weitergereicht werden konnten. Die Stadtverwaltung selbst schätzt ihre Schäden an der kommunalen Infrastruktur auf rund eine Million Euro.
Das Hochwasser in dem 700-Einwohner-Ort Ophoven hängt auch stark mit dem Dammbruch in Ohe zusammen. Denn das Wasser in Ophoven ist sozusagen über die Hintertür in den Ort hineingeflossen. So erklärt es Marcus Seiler, Pressesprecher des Wasserverbandes Eifel-Rur. Zunächst sei ein Damm bei Gut Wylack überflutet worden, das Wasser sei dann über die Rutalstraße (K34) in den Baaler Bach hineingelaufen und so nach Ophoven gelangt. Später sei dann der Damm in Ohe gebrochen, das Wasser sei wiederum über ein Grabensystem in Richtung K34 und Ophoven gelaufen. „Das hat zu den großen Überschwemmungen in Ophoven geführt“, sagt Seiler. Gleichzeitig konnte das Wasser in Richtung Roermond nicht richtig ablaufen, weil die Maas auch voll war.
Der eigentliche Deich, der Ophoven vor der Rur schützen sollte, habe den Wassermassen hingegen standgehalten. „Der Damm ist durch den Einsatz der Rettungskräfte gehalten worden“, sagt Seiler. Das, so muss man allerdings sagen, war ein enormer Einsatz zum Beispiel von freiwilligen Feuerwehrleuten und völlig unausgebildeten Helfern. Zehntausende Sandsäcke waren gefüllt und aufgetürmt worden. Ohne den massiven Einsatz der Helfer, wäre der Deich sicher nicht im Ansatz zu halten gewesen.
Der Hochwasserschutz in Ophoven war in den vergangenen Jahren immer wieder Thema gewesen. Zunächst hatte es geheißen, dass ein neuer Damm gebaut werden muss, um den Ort zu sichern. Noch im Jahr 2019 hatte Seiler gesagt: „Die gesamte Hochwasserschutzanlage entspricht nicht mehr dem Stand der Technik und der gesetzlichen Vorgaben.“ Damals war das Ziel gewesen, einen neuen Damm vor den bestehenden zu setzen. Dieses Bauvorhaben war jedoch immer wieder aufgeschoben worden.
Im September 2020 hieß es dann, dass Ophoven doch gar keinen neuen Damm brauche. Der Wasserverband rechne nun mit einem moderneren Modell, das zeige, dass Ophoven bei einem hundertjährigen Hochwasser (HQ100), also einem Hochwasser, das im Schnitt einmal alle 100 Jahre vorkommt, nicht überflutet werde. Daraus folgte die Kehrtwende: Der lange geplante neue Deich wurde nicht gebaut. Damals sagte Dr. Torsten Rose, beim Wasserband zuständig für die wasserwirtschaftlichen Grundlagen, mit Bezug auf ein hundertjähriges Hochwasser: „Das Wasser fließt nicht mehr in die Ortslage hinein.“
Wichtig sei festzuhalten, dass diese Aussage damals in Bezug auf dieses HQ100-Ereignis getroffen worden sei. „Unsere Neuberechnung mit der moderneren Berechnungsmethode hat dazu geführt, dass bei einem hundertjährigen Hochwasser keine Gefahr droht. Wir haben nicht gesagt, dass Ophoven für alle Zeiten sicher ist“, sagt Seiler nun. Die Wassermassen nach dem Starkregen hätten diesmal zu einem Hochwasser geführt, das deutlich über HQ100 lag, das habe eher im Bereich eines fünfhundertjährigen Hochwassers – vielleicht sogar mehr – gelegen, sagt Seiler: „Dafür ist der Hochwasserschutz nicht ausgelegt.“
Diese Erklärung ist für Ortsvorsteher Caron allerdings nicht zufriedenstellend. „Die reden sich jetzt raus“, sagt er etwas später. Mittlerweile steht er in Ophoven in der Nähe des Sportplatzes. Caron schaut auf die vielen Sandsäcke, die immer noch am Damm liegen. Die ganze Nacht hindurch waren sie gefüllt und aufgestapelt worden. Die Wege mussten verschlossen, Löcher gestopft und der Damm im Ganzen erhöht werden. Eine Wahnsinnsaufgabe, aber die normalerweise 600 bis 700 Meter entfernte Rur kam näher und näher.
Wäre der eigentlich geplante Damm in Ophoven doch gebaut worden, hätten die Kräfte, die fieberhaft gegen das Rurwasser kämpften, woanders eingesetzt werden können, sagt Caron. „Beim Hochwasserschutz in Ophoven muss etwas passieren“, sagt er. Vielleicht hätten diese Kräfte den Dammbruch in Ohe verhindern können. Aber so kämpften sie darum, den alten durchlässigen Damm in Ophoven zu halten, anstatt woanders helfen zu können. „Das ärgert mich“, sagt Caron.