Rheinische Post, 30.01.2020
Text: Daniela Giess
Foto: Ruth Klapproth
Wassenberg Karl Graf von Stauffenberg, Enkel des Hitler-Attentäters, war zu Gast auf Burg Wassenberg und an zwei Schulen. Der 49-Jährige trug sich ins Goldene Buch der Stadt Wassenberg ein.
Wie ist das eigentlich, wenn man Stauffenberg heißt? Karl Schenk Graf von Stauffenberg überlegt kurz, erzählt dann knapp 180 interessierten Mädchen und Jungen der Jahrgangsstufen elf und zwölf an der Betty-Reis-Gesamtschule von seinem politisch geprägten Elternhaus. Vom Vater, der Bundestagsabgeordneter war. Vom Überfall Rechtsradikaler, die ihn als 13-Jährigen brutal zusammenschlugen – wegen seines Namens. Vom Gefühl, kein Individuum zu sein, sondern immer nur der Enkel des berühmten Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 versuchte, den Diktator mit einer Bombe zu töten.
Heute begreift er den Namen als Chance, als Türöffner, um vor Schülern sprechen zu können. Der Nachkomme hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Schulen vor Extremismus zu warnen, junge Menschen zu sensibilisieren. Der 49-Jährige ist eigens aus Bayern angereist. Er freut sich auf die Begegnung mit den jungen Menschen. Im gut gefüllten Forum der Suche informiert ihn Lara Schmitz über die Namensgeberin der Betty-Reis-Gesamtschule, die 1921 in Wassenberg geboren wurde und als eine von rund sechs Millionen jüdischen Mitbürgern in der Zeit des NS-Regimes umgebracht wurde.
Lara Schmitz erzählt dem Gast, der einer Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung folgte, von der Deportation Mitte Juni. Im Herbst 1944 sei Betty Reis im Konzentrationslager Bergen-Belsen gestorben, ihr Bruder habe durch seine legale Flucht nach England als einziges Familienmitglied überlebt.
Für wie wahrscheinlich hält er es, dass es nochmal zu einer rechtsradikalen Regierung kommt? „Das halte ich nicht für ausgeschlossen.“ Junge Menschen wachzurütteln, sie zu mobilisieren, damit es nicht noch einmal dazu kommt, ist das, was Karl Graf von Stauffenberg antreibt. „WIR müssen erkennen, dass eine Gefahr besteht, nicht die Politik da oben.“ Und weiter: „Ich finde es super, wenn die Jugend wieder auf die Straße geht. Aber nur fürs Klima zu kämpfen, reicht nicht.“ Er erzählt seinen jungen Zuhörern von seinem Großvater, der als Hitler-Attentäter in die Geschichte einging und unmittelbar nach dem missglückten Versuch hingerichtet wurde. Als Held möchte er ihn nicht verstanden wissen. Ein „famoser Mensch, gläubig, mit Humor“ sei er gewesen, weiß er aus den Erzählungen seiner Großmutter. „Ich hätte ihn gerne kennengelernt.“ Und weiter: „Wäre das Attentat geglückt, hätten Millionen Menschen nicht sterben müssen, der Krieg wäre vielleicht eingestellt worden.“ Zu dem Zeitpunkt hätten viele Deutsche noch an den bevorstehenden Endsieg geglaubt.
Dann stellt der Besucher seinen Verein vor, den er 2016 gegründet hat. „Mittendrin statt extrem daneben“ heißt der. Das Ziel: junge Menschen vor extremen Tendenzen zu bewahren. Schülersprecherin Pia Schmitz erklärt ihm, dass die Betty-Reis-Gesamtschule den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ trage. Am Vortag hatte sich Graf von Stauffenberg in das Goldene Buch der Stadt Wassenberg eingetragen.
„Wir sind froh, Sie hier zu haben“, bekräftigte Bürgermeister Manfred Winkens im Beisein zahlreicher Verwaltungschefs der umliegenden Städte. Auch Bundestagsabgeordneter Wilfried Oellers, Landtagsabgeordneter Thomas Schnelle und Philipp Schneider als Vertreter des Landrats nahmen an der kurzen Zusammenkunft im Kaminzimmer der Burg Wassenberg teil, ehe von Stauffenberg im Rittersaal zu rund 230 Zuhörern sprach, darunter Gewerbetreibende, Mitglieder des Heimatvereins, Ratsvertreter, Selbsthilfegruppen sowie interessierte Bürger. Im Hückelhovener Gymnasium erinnerte der vierfache Vater zusammen mit Schuldirektor Arnold Krekelberg und 220 Schülern an den Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz und hielt Zettel mit dem Aufdruck „We remember“ hoch.