30.08.2017
Heinsberger Nachrichten
Ein Tag in der Region mit der Verteidigungsministerin und Wahlkämpferin Ursula von der Leyen. Die Zeit in ihrem Ressort könnte bald zu Ende gehen.
Aachen. Das chinesische Sternzeichen Büffel steht für standhafte, traditions- und pflichtbewusste Menschen. „Sie übernehmen gerne Verantwortung, setzen sich für die Gesellschaft ein und arbeiten extrem hart für ihre Anerkennung. Sie handeln vernunftorientiert und haben wenig für Träumereien und Fantastereien übrig.“
Es ist selbst für Kritiker leicht, Ursula von der Leyen mit diesen Eigenschaften in Verbindung zu bringen. Die Bundesverteidigungsministerin steht in der Aachener Lützow-Kaserne vor so einem „Büffel“ an diesem sonnigen Morgen. Im Militärjargon handelt es sich um den Bergpanzer 3, aber auch die Soldaten nennen das Fahrzeug nur den „Büffel“.
Im Rahmen ihrer Sommerreise kommt die Ministerin nach Aachen. Es folgen an diesem Tag noch ein paar regionale Wahlkampf-Auftritte, die sie eher in „Parteiuniform“ abhält. Wer sie begleitet, stellt erstaunt fest, dass Zuneigung und Sympathie umso größer werden, je weiter sich die Ministerin von der Truppe entfernt.
„Sie hat mit ihrer offenen und zupackenden Art auch dieses komplizierte Ressort in den Griff bekommen.“
Helmut Brandt (CDU), Bundestagsabgeordneter aus Alsorf, über die Fraktionskollegin
In Aachen begrüßt sie der Kommandeur des Ausbildungszentrums Technik Landsysteme, Brigadegeneral Ralf Lungershausen, eher jovial. „Willkommen in der Reiterstadt Aachen.“ Der Besuch ist militärisch-akkurat vorbereitet. Ursula von der Leyen ist zum ersten Mal in dieser Kaserne. „Es könnte gleichzeitig ein Abschiedsbesuch sein“, sagt jemand aus dem Begleittross, der natürlich nicht genannt werden will. In einem Monat ist die Wahl schon Geschichte, von der Leyens Partei liegt vorne, aber bleibt die 58-Jährige an der Spitze ihres Ministeriums?
Der offizielle Besuch dauert eine gute Stunde. Redakteure haben sich kaum akkreditiert, dafür umso mehr Fotografen und Kameraleute, deren Ausrüstung von der Bundeswehrhündin Tiak nach eigehender Inspektion als harmlos eingestuft wird. Es geht an diesem frühen Vormittag wie so oft um die Kraft der Bilder, weniger um die Kraft der Worte. Ein Presseoffizier stellt vorab die anstehende Medien-Route vor. Erstes Motiv ist die Ministerin am Leopard 2A6, dann wird sie an der Panzerhaubitze 2000 erwartet, wo niederländische und deutsche Soldaten gemeinsam die Gesellenausbildung zum KFZ-Mechatroniker machen.
Vor dem „Büffel“
Nach einer knappen Stunde steht von der Leyen vor dem „Büffel“. Sie lobt den Standort, die „Alma Mater“ der Technik. „Es gibt kein Landsystem, das nicht in Aachen gepflegt oder instandgesetzt wird“, sagt sie. Das Ministerium investiert in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro in diesen Standortbereich. In der Kaserne wird auch geschult, wie Munition beseitigt werden kann.
Das ist ein gutes Stichwort, denn auch von der Leyen bewegt sich – im übertragenen Sinn – zuweilen auf vermintem Gelände. Nach dem Bundesfamilien- und dem Arbeitsministerium hat sie Ende 2013 das Bundesverteidigungsministerium übernommen. Es sind Karrieren, die nur in der Politik möglich sind.
Die Quereinsteigerin war die erste Frau an der Spitze, sie ist vom ersten Tag an kritisch beäugt worden. Das Verteidigungsministerium steht im Ruf, ein Karriereschredder zu sein, wie die „Zeit“ aufgeschrieben hat: „Man geht als Hoffnungsträger rein und kommt als Rudolf Scharping wieder raus.“ Wer an der Spitze des Ministerium steht, ist nie der Überbringer von guten Nachrichten. Soldaten fallen bei Auslandseinsätzen, Panzer schießen nicht, Flugzeuge fliegen nicht, Gewehre treffen nicht, etwa 50 Prozent der Waffensysteme sind defekt oder warten auf eine Reparatur. Das Amt ist nicht geeignet für gute Umfragewerte.
Wer aber dieses behäbige Ministerium managen kann, qualifiziert sich für jedes weitere Amt. Von der Leyen sagt immer, dass es eine Ehre sei, in der Bundesregierung zu sein. Ihr Eifer ist legendär. Sie trinkt keinen Alkohol, sie raucht nicht, sie joggt und ernährt sich überwiegend von geschnippeltem Obst und Gemüse. Und ab und zu findet sie auch noch Zeit, um in der „Reiterstadt Aachen“ an der CHIO-Eröffnungsfeier teilzunehmen. Die promovierte Ärztin schafft ein „fast unmenschliches Arbeitspensum“, berichten Mitarbeiter. Tagsüber jagt ein Termin den nächsten, abends ackert sie sich noch durch Akten. 16 Stunden kommen oft zusammen. Schon beim Lesen ihrer Aktivitäten wird man müde.
Kritiker halten ihr vor, sie sei eine Meisterin der Selbstvermarktung. Das Presseecho sei ihr wichtiger als die Truppe. Es gehe ihr zu sehr um Bilder, sie pflege zu sehr ihr Image auf Kosten der Truppe. Und: Sie sei nie etwas schuld.
Ihr Stil polarisiert durchaus. Man kann nicht sagen, dass sie es sich leicht macht. Als es zu Ermittlungen um vermeintliche sexuelle Übergriffe bei der Ausbildung von Sanitätern in Pfullendorf kam, und der Fall des rechtsradikalen Offizieres Franco A. ruchbar wurde, redete sie Klartext. Sie sah bei der Truppe ein „Haltungs- und Führungsproblem“. Sie wollte nicht länger zusehen, denn genau diese Teilnahmslosigkeit hielt sie Vorgesetzten vor. Nicht mit von der Leyen! Sie will einen Kulturwandel in der Armee. Ein paar Tage später relativierte sie das pauschale Urteil, aber die Stimmung bei den unter Generalverdacht gestellten Soldatinnen und Soldaten ist deswegen nicht aufgehellt. Im gerüchtefreundlichen Berlin gibt es längst die Stimmen, dass die 58-Jährige nach der Bundestagswahl das Ministerium verlässt oder – je nach Sichtweise – verlassen muss.
Von einer „Vertrauenskrise“ spricht André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbandes. Die Vorwürfe gegen die selbsternannte Modernisiererin sind lang. Uniformträger halten ihr vor, sie habe keine Ahnung vom Selbstverständnis der Truppe, sie wisse nicht, was der Begriff Ehre bedeute. Ihr öffentlichkeitswirksamer hoher Ton moralischer Überlegenheit sei völlig unangemessen, findet Wüstner und erntete dafür viel Beifall in den eigenen Reihen. Dabei kann die Armee positive Werbung durchaus gebrauchen, es fehlt an Nachwuchs.
In Aachen wird sie ohne Misstöne verabschiedet, nachdem sie noch abseits der Kameras mit ein paar Soldaten gesprochen hat.
Die zweitwichtigste Frau in diesem Land reist weiter. In Merkstein besucht sie das Kinderheim St. Hermann-Josef. Eingeladen hat sie der CDU-Bundestagskandidat Helmut Brandt. Die beiden sitzen sich in der Fraktion in Berlin gegenüber. Brandt hält sie für eine „außergewöhnliche Person“. Die anfängliche Skepsis, die bei manchen hervorlugte, als sie das Ministerium übernahm, sei verflogen. „Sie hat mit ihrer offenen und zupackenden Art auch dieses komplizierte Ressort in den Griff bekommen“, sagt er.
In Merkstein sitzt von der Leyen neben Rosi Sommer, der Leiterin des Kinderhauses, das vor ein paar Wochen den 100. Geburtstag feierte. Die Pädagogin startet einen dringenden Appell; sie befürchtet, dass sich mit der anstehenden Änderung des Sozialgesetzbuches VIII die Arbeit im Jugendbereich mit unbegleiteten Flüchtlingen massiv erschweren könnte. „Ich kann nur davon abraten, wir sollten uns am Bedarf und Wohl des Kindes orientieren.“ Von der Leyen ist nicht im Thema, es betrifft vielmehr das Arbeitsressort, aber sie nimmt den praxisnahen Hinweis mit nach Berlin, „auch wenn in dieser Legislaturperiode nichts mehr entschieden wird“.
Später besichtigt sie noch eine der vier Gruppen, in der neun Kinder untergebracht sind. Der siebenfachen Mutter muss man nicht erzählen, welche Herausforderungen hier anstehen.
Am Abend trifft sie Thomas Rachel im Schloss Burgau Niederau. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung kennt die Kollegin schon lange, auch er gehört zur Merkel-Mannschaft seit fast zwölf Jahren. Wenn der Dürener Abgeordnete über die Ministerin redet, klingt das fast schwärmerisch.
Die Parteifreundin habe einen Schleudersitz gewählt und mit ihrer „hochprofessionellen und extrem disziplinierten Art“ das schwierige Ressort modernisiert. In anderen Jahrzehnten habe es an der Spitze auch schon mal ein eher „kumpelhaftes Verhalten“ gegeben, sagt Rachel. Mit von der Leyen sei ein neuer Stil eingezogen. „Dabei betrachte ich ihr Gesamtwirken und nicht einen Halbsatz, den nicht alle gut fanden.“
Kritik mit einem Lächeln
Von der Leyen geht ans Mikrofon, der L-förmige Saal ist auch am späten Nachmittag bis auf den letzten Platz besetzt. Wahlkampf. Die zierliche Frau arbeitet sich an dem Themen Verteidigung, Bürokratie, Digitalisierung, Türkei ab, auch der SPD-Kanzlerkandidat bekommt ein paar Breitseiten ab. Von der Leyen gehört zu den Menschen, die noch harsche Kritik mit einem Lächeln begleiten. Es ist keine krachlederne Rede, vielmehr versucht sie mit ein paar Anekdoten und Argumenten, das Publikum zu gewinnen. Das ist einfach, für sie ist es ein Heimspiel, sie kann in Zuneigung baden. Nach einer knappen Stunde steigt die Frau mit der Sicherheitsstufe 1 wieder in ihr Fahrzeug, weitere Termine in Köln stehen an.
Was aus ihr werden wird? Am Nachmittag ist sie noch in Hückelhoven-Ratheim. „Auf eine Tasse Kaffee mit Dr. Ursula von der Leyen“ lautet das Motto der CDU-Wahlkampfveranstaltung im altehrwürdigen Haus Hall. Der Kandidat Wilfried Oellers lud auf das einstige Rittergut ein. Die Wahlkämpferin geht von Tisch zu Tisch, viele Generationen sind für ein Stündchen zusammengekommen, immer wieder geht es um das Thema „Familie“. Auch bei der Bundeswehr fing die neue Chefin mit den weichen Themen an. Wie lassen sich Dienst und Familie besser vereinbaren? Ihre Vorgänger haben sich mit solchen Aufgabenstellungen kaum beschäftigt, von der Leyen erreichte Verbesserungen. Als sie sich für mehr sexuelle Toleranz in der Truppe einsetzte, gab es schnell wieder Kritik. Als ob es keine wichtigeren Themen gebe, wunderte sich etwa SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold.
Plausch an der Kaffeetafel
Es sind kurze Gespräche in Ratheim, von der Leyen ist den Menschen zugewandt, sagen sie später. Das Wort „zugewandt“ fällt häufig, wenn man sich mit Menschen über sie unterhält. Beim Plausch an der Kaffeetafel erkundigt sich jemand auch nach ihren Plänen. Ob sie auch in der künftigen Regierung das Verteidigungsministerium leiten wolle? „Wenn es sich so ergäbe, würde ich mich freuen. Ich würde gerne die Arbeit weitermachen“, antwortet sie.
Und die Aufgabe als Bundeskanzlerin? „Nein, nein, nein“, entgegnet sie blitzschnell, lacht und zeigt auf ein Foto von Angela Merkel im Raum. Von der Leyen lässt also keine Ambitionen auf noch höhere Weihen erkennen, aber wie ein Dementi auf Lebenszeit klingt es trotzdem nicht. Sie würde sich auch den letzten Karriereschritt ziemlich sicher zutrauen.
„Büffel übernehmen gerne Verantwortung, setzen sich für die Gesellschaft ein und arbeiten extrem hart für ihre Anerkennung.“
Zwei Volkslieder für einen guten Zweck
Ursula von der Leyen ist die Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht. Die Ärztin war von 2003 bis 2005 niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales, ehe sie das Verteidigungsministerium übernahm. Mit ihren Eltern und Geschwistern nahm sie im Jahr 1978 für wohltätige Zwecke eine Single mit zwei Volksliedern auf, eins davon „Wohlauf in Gottes schöne Welt“.
Verheiratet ist sie mit dem Medizin-Professor und Unternehmer Heiko von der Leyen. Das Paar hat sieben Kinder, davon leben zwei noch zu Hause, die übrigen studieren.
„Dabei betrachte ich ihr Gesamtwirken und nicht
einen Halbsatz, den nicht
alle gut fanden.“
Thomas Rachel (CDU), Bundestags-abegordeneter aus Düren