Aachener Nachrichten/Eschweiler vom 26. November 2021
Text und Bild: Michael Grobusch
ESCHWEILER Seit mittlerweile zwei Jahren läuft die schrittweise Umstellung des Entgeltsystems für Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Die Kritik daran reißt nicht ab. Wirkung zeigt das aber nicht.
Im Gesamtwerkstattrat der Caritas Behinderten- und Werkstätten GmbH in Eschweiler gibt es einen Wechsel: Stefanie Wimmer hat Kerstin Konzer, die weiter zum Vorstand gehört, als Vorsitzende abgelöst. An der Grundsatzposition des Gremiums zum Thema Entgelt hat sich deshalb allerdings nichts geändert. Im Gegenteil: „Unser System hat hervorragend funktioniert. Aber wenn der Grundbetrag steigt, können wir weniger an die Leistungsstarken ausschütten. Das sorgt für Unruhe und Unzufriedenheit“, stellt Kerstin Konzer fest.
Hintergrund für diese Unruhe ist eine Änderung des Bundesteilhabegesetzes, die vorschreibt, dass das Arbeitsentgelt für in Werkstätten beschäftigte Menschen mit Behinderung bis 2023 schrittweise erhöht wird – um in der Summe fast 50 Prozent. In Kraft getreten ist die erste Stufe des modifizierten Gesetzes bereits zum 1. Januar 2020, der Grundlohn wurde von 80 auf 89 Euro im Monat erhöht. Eine weitere Anhebung auf 99 Euro ist zu Beginn dieses Jahres erfolgt. Jeweils zum 1. Januar 2022 und 2023 folgt die schrittweise Erhöhung auf 109 und dann auf 119 Euro.
Um die Sorgen der Betroffenen einordnen zu können, muss man die Besonderheiten bei der Entlohnung von Menschen in Behindertenwerkstätten kennen. Sie sind in der bundesweit geltenden Werkstättenverordnung geregelt, die besagt, dass 70 Prozent des Arbeitsergebnisses, also des erwirtschafteten Ertrags, als Entgelt an die Beschäftigten ausgezahlt werden. Die übrigen 30 Prozent fließen in die Ertragsschwankungsrücklage sowie in die Modernisierungs- und Instandhaltungsrücklage.
Das auszuzahlende Arbeitsergebnis wiederum unterteilt sich in einen Grundbetrag für alle Beschäftigten und einen sogenannten individuellen Steigerungsbetrag für leistungsstarke Mitarbeiter. Der Grundlohn wird vom Gesetzgeber festgelegt, die Höhe des Steigerungslohns hängt vom erzielten Jahresergebnis und der anhand eines Kriterienkatalogs ermittelten individuellen Leistung ab.
Kerstin Konzer hat bereits in einem früheren Gespräch mit unserer Zeitung die Befürchtung geäußert, dass das aus ihrer Sicht bestens funktionierende System der Behindertenwerkstätten in ein Ungleichgewicht und damit in Gefahr geraten könnte. Und diese Befürchtung äußert sie jetzt erneut: „Ein wesentlicher Bestandteil ist, das jedem Beschäftigten, egal welche Behinderung er hat und welche Produktivität er erreicht, der Grundbetrag gezahlt wird. Genauso wesentlich und wichtig ist aber auch, dass die Leistungsstärkeren, die dieses System maßgeblich mit ihrem Solidarbeitrag stützen, entsprechend der höheren Qualität und Quantität ihrer Arbeit eine Anerkennung erfahren“, unterstreicht sie.
Eine ungleiche Behandlung sei damit nicht verbunden, betont Stefanie Wimmer: „Der Lohn ist für viele von uns nicht ausschlaggebend. Das Verständnis, die Unterstützung und die Sozialarbeit sind oftmals viel wichtiger und viel mehr wert als das Entgelt.“ Das liege nicht zuletzt auch daran, dass all diejenigen, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung tätig sind, Grundsicherung zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes beziehen. „Wir sind hier nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt“, weiß die neue Vorsitzende des Werkstattrates.
Ihre Bedenken haben die Mitglieder des Werkstattrates kürzlich auch Claudia Middendorp vorgetragen. Die Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung war bereits zum zweiten Mal am Hauptsitz in Eschweiler zu Gast. Zum ersten Mal allerdings im Neubau an der Aachener Straße und erstmals auch in Begleitung von Wilfried Oellers. Er ist der behindertenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und war eigens aus Berlin angereist, um sich die Sorgen der CBW-Mitarbeiter anzuhören.
Eine Rücknahme der gesetzlichen Änderung erwarten sie nach dem Austausch mit den Politikern allerdings nicht, wie Stefanie Wimmer betont. Das gilt auch für Fredi Gärtner, Leiter Sozialer Dienst bei der CBW. Aus seiner Unzufriedenheit macht er deshalb keinen Hehl: „Die Werkstätten haben auf die Rahmenbedingungen keinerlei Einfluss. Aber sie müssen diese Rahmenbedingungen dennoch uneingeschränkt erfüllen.“
CBW-Geschäftsführer Michael Doersch fordert diesbezüglich schon seit längerem Änderungen. Sein Ansatz: Der Staat, der die Höhe des Grundlohns festlegt, solle auch dessen Finanzierung übernehmen. Damit könnte der soziale Druck, der aufgrund der Änderung der Entgeltordnung entstanden sei und weiter steigen werde, von den Werkstätten und deren Träger genommen werden. Und auch der wirtschaftliche. Denn Doersch befürchtet, dass viele Werkstätten die vorgeschriebenen Steigerungen beim Grundlohn auf Dauer gar nicht leisten können, weil sie nicht in der Lage sind, diese zu erwirtschaften. „Das Gesetz wird mindestens 20 Prozent der Werkstätten vor existenzielle Probleme stellen“, hatte der Geschäftsführer Anfang 2020 prognostiziert. Die CBW mit ihren sechs Standorten und fast 1350 Menschen werde aber nicht dazu zählen. Das hat Doersch noch einmal bestätigt.