Viele Betreuungsvereine stehen vor dem Aus, weil die Finanzierung der Aufgaben unzureichend ist. Hinzu kommen massive inflationsbedinge Mehrkosten.
Auch Betreuungsvereine aus dem Kreis Heinsberg, wie die Lebenshilfe oder der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM), sind von den stark gestiegenen Kosten für Organisation, Fahrtkosten, Tarifsteigerungen und Energiekosten betroffen.
Der Bundestagsabgeordnete für den Kreis Heinsberg, Wilfried Oellers, sieht diese Entwicklung als Teilhabebeauftragter der CDU/CSU Bundestagsfraktion mit besonderer Sorge.
MdB Oellers: „Die Arbeit der Betreuungsvereine und Betreuer für Menschen, die krankheits- oder behinderungsbedingt ihren Alltag nicht mehr selbstständig regeln können, ist unverzichtbar. Das Wegbrechen von Vereinen und Betreuenden würde tausende Betreute treffen. Gleichzeitig wäre es ein harter Schlag für unser Sozialsystem und das gelebte Ehrenamt in der Betreuung.“
„Mir war es daher ein persönliches Anliegen, dass die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um die Finanzierung der Betreuungsvereine und der Betreuer sicherstellen und die vorhandenen Strukturen zu erhalten“, so Wilfried Oellers. „Die Kostenpauschale müssen unverzüglich der Inflationsentwicklung angepasst werden. Bei einer schnellstmöglichen Evaluierung müssen die Pauschalen in einem zweiten Schritt den gestiegenen Aufgaben angepasst werden. Die Betreuungsvereine müssen unverzüglich die ihnen durch den Gesetzgeber zugesagte Finanzierung erhalten. Zuletzt müssen die Einnahmeausfälle der Betreuer durch das eingeführte Bürgergeld und der damit verbundenen Anhebung des Schonvermögens ausgeglichen werden. Hier dürfen Bund und Länder keine Zeit verlieren. Jeder Tag zählt. “
Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Finanzierung der Betreuungsvereine und der Betreuer sicherstellen – Strukturen erhalten
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Betreuungsvereine leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung des Betreuungsrechtes in die Praxis. Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen, z.B. wegen Alters oder einer Behinderung, ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr eigenverantwortlich regeln können, sind auf Betreuung angewiesen. Diese in vielen Fällen durch Familienangehörige oder andere ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer übernommene Betreuung für hilfsbedürftige Menschen ist für das deutsche Betreuungswesen prägend. Für die ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer ist die Organisation in Betreuungsvereinen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben elementar wichtig. Die Vereine sind systemrelevant. Sie unterstützen und beraten die Betreuerinnen und Betreuer bei ihren Herausforderungen sowie bei rechtlichen Fragestellungen oder bieten Weiterbildungen an. Sie vermitteln Ehrenamtlern die notwendigen Kenntnisse, rechtliche Beratung und die Absicherung durch Versicherungen. Durch das neue, zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Betreuungsgesetz wird diese Stellung der Betreuungsvereine noch gestärkt: Ihnen wird die Aufgabe zugewiesen, mit ehrenamtlichen Betreuern eine Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung abzuschließen. Das soll die Qualität der ehrenamtlichen Betreuung verbessern durch eine Vernetzung von Fachwissen und methodischem Können der Fachkräfte mit dem persönlichen Einsatz der Ehrenamtlichen. Außerdem sind anerkannte Betreuungsvereine, die zumeist in Trägerschaft von Wohlfahrtsverbänden geführt werden, verpflichtet, selbst Mitarbeiter zu beschäftigen, die für die Übernahme von Betreuungen zur Verfügung stehen; sie gewährleisten auf diese Weise auch, dass professionelle Betreuerinnen und Betreuer zur Verfügung stehen, wo eine ehrenamtliche Übernahme nicht zustande kommt.
Die Betreuungsvereine agieren als Schnittstelle zwischen Behörden, Verbänden oder Krankenhäusern. Von dieser Querschnittsarbeit, diesen langjährig aufgebauten Strukturen und Erfahrungen vor Ort profitieren alle Beteiligten. Viele Ehrenamtliche wären ohne die Absicherung und Angebote der Betreuungsvereine nicht bereit oder nicht in der Lage, die Vormundschaft für andere zu übernehmen.
Die Finanzierung von Betreuungsvereinen speist sich aus der Einnahme der Vergütungspauschalen für die professionell geleistete Betreuung durch ihre Mitarbeiter sowie durch Zuschüsse der Länder und Kommunen, durch die die Querschnittsfunktionen abgedeckt werden sollen. Aktuell stehen viele Betreuungsvereine vor erheblichen finanziellen, letztlich existentiellen Problemen, aufgrund der unzureichenden Finanzierung ihrer Aufgaben und aufgrund gravierender inflationsbedingter Mehrkosten. Die Betreuervergütung ist nach einer Erhöhung im Jahr 2019 unverändert geblieben; seither haben sich die Kosten für Organisation, Fahrtkosten, Tarifsteigerungen und Energiekosten stark erhöht. Des Weiteren setzt sich fort, dass Betreuungen zunehmend kompliziert und aufwändig werden: Das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Betreuungsrecht erfordert, dass der Wille der zu betreuenden Personen stärker als zuvor zum zentralen Orientierungsmaßstab des gesamten Handelns in der Betreuung werden. Diesen Vorgaben des (bundesgesetzlichen) Betreuungsgesetzes, das die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzt, kann die Praxis nur gerecht werden, wenn mit erhöhtem Zeitaufwand auf die individuellen Wünsche der Betreuten eingegangen wird. Hinzu kommt, dass Betreuungen sowohl durch zunehmend unterschiedliche, individuelle Einschränkungen z.B. auch bei jüngeren Menschen mit Betreuungsbedarf, als auch durch gesetzliche Vorschriften und deren Änderungen, die neue bürokratische Vorgänge beispielsweise neue Anträge oder angepasste Informationen auslösen, zunehmend kompliziert und aufwändig werden. Im Ergebnis ist eine Kostendeckung durch die Gebühren und Zuschüsse für ihre Overhead-Funktionen nicht gegeben. Infolgedessen erscheint eine Anpassung der Kostenpauschale zur Sicherung der Vereine unverzichtbar.
Bis zum 31. Dezember 2024 hat das Bundesministerium der Justiz eine Evaluierung insbesondere im Hinblick auf die Angemessenheit der festgesetzten Fallpauschalen vorzulegen. Diese Evaluierung kann aber nicht abgewartet werden. Sie kommt zu spät, um die aktuellen existenziellen Probleme lösen zu können. Viele Vereine können ohne eine schnellstmögliche Anpassung der Finanzierung nicht länger wirtschaftlich überleben. Erste Betreuungsvereine haben bereits die Aufgabe ihrer Tätigkeit beschlossen und befinden sich in der Abwicklung oder planen diesen Schritt. Die verbleibenden Betreuungsvereine oder frei tätige Berufsbetreuer haben aber keine ausreichenden freien Kapazitäten, die dann unversorgten Fälle zu übernehmen. Steht bei einer gerichtlich angeordneten Betreuung aber kein geeigneter Betreuer zur Verfügung, so liegt die Verantwortung zur Gewährleistung der Betreuung bei den kommunalen Betreuungsbehörden, die diese Aufgabe dann mit eigenen Bediensteten erfüllen müssten. In der Folge ist zu befürchten, dass viele betreuungsbedürftige Menschen erhebliche Abstriche bei ihrer Betreuung machen müssten. Die Zielsetzung des Betreuungsgesetzes würde verfehlt. Das wäre ein immenser Rückschlag für unsere Bemühungen um Teilhabe und Inklusion, aber auch für ehrenamtliches Engagement und für die fürsorgliche Unterstützung älterer Menschen oder auch Menschen mit Behinderungen.
Gemäß § 17 des Betreuungsorganisationsgesetztes (BtOG) steht den anerkannten Betreuungsvereinen eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln zu. Für die Umsetzung dieses Anspruches sind die Länder zuständig. Trotz dieses bundeseinheitlich geregelten Anspruchs lassen sich in den einzelnen Bundesländern starke Unterschiede bezüglich der Unterstützung erkennen, die auch die Qualität der Arbeit der Betreuungsvereine in vielen Regionen gefährdet. In einigen Ländern gibt es bis heute noch keine rechtlichen Regelungen zur Umsetzung des Anspruchs aus § 17 BtOG.
Zudem hat die Einführung des Bürgergeldes negative Auswirkungen auf die Vergütung der Betreuerinnen und Betreuer sowie den Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspfleger. Durch die Anhebung des Schönvermögens gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 der VO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII von 5.000 Euro auf 10.000 Euro mit Wirkung zum 1. Januar 2023, gelten auch mehr Menschen als mittellos i.S.d. § 1880 BGB. Die Abrechnung der Vergütung erfolgt nach den Tabellenwerten für Mittellose und liegt niedriger als die mögliche Vergütung bei nicht mittellosen betreuten Personen. Durch die Erhöhung des Schonvermögens reduzieren sich die Einkünfte der Betreuerinnen und Betreuer, aber auch der Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspfleger. Daher muss die gesetzgeberisch verursachte Reduzierung der Einkünfte der Betreuerinnen und Betreuer sowie der Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspfleger ausgeblichen werden.
Die Justizminister der Länder hatten sich ursprünglich Ende Mai mit den finanziellen Problemen der freiberuflichen Betreuer und der Betreuungsvereine befassen wollen, dann das Thema bei Ihrer Sitzung aber doch ausgeklammert.
In voller Überzeugung einer föderalen Gewaltenteilung halten wir es aufgrund der Dringlichkeit und der Dimension der Problemlage dennoch für geboten, dass von Bundesseite auf die unverzügliche Umsetzungspflicht der Länder hingewiesen wird.
Zur Überprüfbarkeit einer bedarfsgerechten Ausstattung braucht es künftig regelmäßiger Evaluierungen der Kosten, damit Veränderungen, wie beispielsweise Tarifanpassungen, bei der Mittelzuweisung und den Kostenpauschalen umgehend berücksichtigt werden können. Nur so kann eine langfristige finanzielle Sicherheit für Betreuungsvereine und letztlich die Betreuungsstruktur für die Betreuten in Deutschland sichergestellt werden.
Ein Ausbleiben der notwenigen Anpassungen bedeutet auf Dauer das Aus für die Vereine, immer weniger hauptberuflichen und ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer und somit einen eklatanten Verlust an notwendigen Strukturen für das deutsche Betreuungswesen.
II. Daher fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,
- unabhängig von der anstehenden Evaluierung Ende 2024 die derzeitige Kostenproblematik der Betreuungsvereine im Einvernehmen mit den Ländern umgehend zu lösen,
- sich im Dialog mit den Ländern für eine unverzügliche Umsetzung des in § 17 BtOG geregelten Anspruchs der Betreuungsvereine auf eine bedarfsgerechte, gleichwertige finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln durch alle Länder einzusetzen, um die gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen der Teilhabe nicht zu gefährden,
- die im Rahmen des Bürgergeldgesetzes eingetretene Reduzierung der Kostenpauschalen für die Betreuerinnen und Betreuer sowie den Verfahrenspflegerinnen und Verfahrenspflegern umgehend auszugleichen.
- sich in Abstimmung mit den Ländern unverzüglich für eine umgehende Anpassung der Kostenpauschalen für Betreuerinnen und Betreuer einzusetzen, um den massiven Kostensteigerungen seit der letzten Anpassung Rechnung zu tragen,
- in Abstimmung mit den Ländern eine Anpassung der Kostenpauschalen vorzunehmen, die die gestiegenen Anforderungen an Betreuungsfälle und die zusätzlichen Aufgaben bei der Betreuung berücksichtigt und die finanzielle Situation der Betreuungsvereine und der Betreuer auch in Zukunft sichert.