Folgen der Zulassung von Bluttests als Kassenleistung würde die Entwicklung unserer Gesellschaft in Richtung einer inklusiven Gesellschaft prägen.
Mit der Orientierungsdebatte zu den nicht-invasiven Bluttests als mögliche Kassenleistung wollen wir eine grundsätzliche Diskussion zu den ethischen und gesellschaftlichen Folgen der Gendiagnostik für Menschen mit Behinderungen führen. Heute debattierte der Deutsche Bundestag im Rahmen einer offenen Grundsatzdiskussion das Thema der Krankenkassenzulassung der sog. „Nichtinvasiven Pränataldiagnostik“ (NIPD). Was sich wie die administrative Zulassung eines medizinischen Testverfahrens anhört, ist in Wirklichkeit eine bedeutende ethische Orientierungsdebatte über die Zukunft unserer Gesellschaft. Denn mit den Möglichkeiten der Gendiagnostik und insbesondere der NIPD können ungeborene Kinder im Leib der Mutter nach Behinderungen getestet werden. Durch eine Untersuchung des Blutes der Mutter kann das Erbgut des ungeborenen Kindes geprüft werden und Chromosomenveränderungen, wie zum Beispiel Trisomie 21 (Down-Syndrom), festgestellt werden. Dieser Test dient einer Diagnose, wie das Vorhandensein des Down-Syndroms, hat jedoch keinen therapeutischen oder medizinischen Nutzen für das ungeborene Kind. Für Schwangere in einer Risikoschwangerschaft“ ist dieser Bluttest ungefährlicher als die seit Jahrzehnten von den Krankenkassen übernommenen Plazenta- oder Fruchtwasseruntersuchung. Zudem wird er schon an Selbstzahler angeboten. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen wirft daher die Frage auf, ob diese Leistung künftig in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden soll.
Mehr als 90 Prozent der Eltern, die eine solche Diagnose erhalten, entscheiden sich für eine Abtreibung. Die Auswirkungen des Ansinnens des Gemeinsamen Bundesausschusses werden damit sehr deutlich. Unter solchen Umständen wirkt Pränataldiagnostik wie eine Selektion. Was bedeutet es also für unsere Gesellschaft, wenn in Zukunft dieser Test Kassenleistung wird? Was bedeutet es für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom und für diese Kinder selbst in einer Gesellschaft zu leben, in der es immer weniger Menschen mit Beeinträchtigungen gibt? Die Gefahr und die Sorge der Eltern, dass Eltern, die sich dafür entschieden haben, ihr Kind mit Down-Syndrom großzuziehen, unter Druck geraten und auf Ablehnung stoßen, ist groß. Die Sorge und Angst der Eltern, dass ihre Familie zunehmend diskriminiert wird, wächst nun mit der bevorstehenden Überlegung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Zudem ist auch die Situation der Eltern, die Trisomie-21-Diagnose erhalten haben und sich mit diesem Wissen hilflos fühlen, nicht zu vernachlässigen. Beide Seiten brauchen Unterstützung und Aufklärung, wie und wo sie Hilfe bekommen können.
Es ist unsere Aufgabe, die Folgen und die Zukunft der Gendiagnostik in dieser Parlamentsdebatte aufzugreifen, um eine grundsätzliche Auseinandersetzung in der Gesellschaft zu führen. Als Behindertenbeauftragter möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir nur eine inklusive Gesellschaft aufbauen können, wenn jeder und jede Einzelne, mit oder ohne Down-Syndrom willkommen ist. Stigmatisierung, sich ausgegrenzt fühlen oder fehlende Unterstützung darf es nicht geben. Jedes Leben ist zu schützen, das ist unsere oberste Priorität. Akzeptanz und Offenheit für alle Kinder und Menschen mit Beeinträchtigung schaffen wir, indem wir die Angst der betroffenen Eltern vor Ausgrenzung aber auch vor Überforderung ernst nehmen und für Beratung und Unterstützung sorgen. Unsere Gesellschaft gilt es dafür zu sensibilisieren und aufzuklären, dass Menschen mit Down-Syndrom, wie auch Menschen mit weiteren Beeinträchtigungen, heutzutage bessere Lebens- und Teilhabechancen haben, als je zuvor und durchaus in der Lage sind, ihr Leben selbstbestimmt zu führen und ihren Beitrag für unsere Gesellschaft zu leisten. Dies sollten wir gemeinsam betonen und hochschätzen.
Unterstützung für Betroffene, Aufklärung der Unwissenden müssen Hand in Hand gehen, damit unsere Gesellschaft aufgeklärt entscheiden kann, wie weit unser medizinischer Fortschritt gehen kann.
Für die heute bereits möglichen NIPDs fehlt es an der für die Frage so wichtige Beratung und Aufklärung. Diese müsste in den Leistungskatalog sämtlicher Krankenkassen aufgenommen werden, damit frühestmöglich bekannt ist, welche Unterstützungsleistungen der Staat zur Verfügung stellt, um Menschen mit einer Beeinträchtigung zu begleiten und zu unterstützen. Es ist wichtig, die Besonderheit jedes Einzelnen offen zu begegnen, um Vorurteile abzubauen und das Miteinander in unserer Gesellschaft, in der alle voneinander lernen und profitieren können, voranzutreiben. Erstrebenswert ist eine Gesellschaft in der Behinderung nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung betrachtet wird. Diese Beratung und Aufklärung muss dem nachvollziehbaren Erkenntniswunsch der Eltern, auch eines ungeborenen Kindes, ob es dem Kind gut geht, stets begleiten.
Die nun anstehende Debatte muss mit dem Grundsatz geführt werden, dass das Leben zu schützen ist. Dies ist die oberste Priorität. Das gilt auch und gerade für das ungeborene Leben. Zudem muss die Debatte für eine inklusive Gesellschaft sensibilisieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir Menschen verschieden sind. Die Unterschiede können mal größer und mal kleiner sein. Die Debatte muss auch noch einmal zur Aufklärung beitragen, welche Unterstützungsleistungen die Gesellschaft zur Verfügung stellt, damit jeder Mensch, mit oder ohne Beeinträchtigung, ein selbstbestimmtes würdevolles Leben führen kann und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.
Wozu die Debatte allerdings nicht führen darf und darum bitte ich eindringlich, dass Eltern sich rechtfertigen müssen, warum sie sich für ein Kind mit einer Beeinträchtigung entschieden haben. Eine solche Richtung darf in dieser Debatte in keinsterweise Eingang finden. Denn jeder Kind ist ein Geschenk für unsere Welt und unsere Gesellschaft.